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Ein Kongress-Sprecher von Gottes Gnaden

 

Washington (KNA) ­– Der frisch gewählte Speaker hatte eine Erklärung für seinen plötzlichen Aufstieg aus der politischen Anonymität an die Spitze des US-Kongresses: „Die Bibel ist sehr eindeutig“, sagte Mike Johnson bei seiner Antrittsrede am Donnerstag im Repräsentantenhaus. „Gott ist derjenige, der die Obrigkeit einsetzt.“ Tatsächlich hatten ihm 220 Mitglieder der republikanischen Fraktion - die nach 22 Tagen sichtlich erschöpft war von den innerparteilichen Streitereien - zu einer Mehrheit verholfen.
Die Fraktion hatte in einer historischen Premiere zuerst seinen Vorgänger Kevin McCarthy abgesetzt. Danach ließ sie die Nummer Zwei in der Hierarchie, Mehrheitsführer Steve Scalise, abblitzen, und später die Nummer Drei, „Whip“ Tom Emmer. Dazwischen wiesen die Republikaner auch den Gottvater der Rechtspopulisten im Kongress zurück, Jim Jordan. Doch auch für diese Zerrissenheit in der Fraktion präsentierte Johnson eine biblische Deutung: „Leiden schafft Ausdauer; Ausdauer führt zu Charakter, und Charakter lässt hoffen“, zitiert er aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer.
Dass der außerhalb der evangelikalen Welt unbekannte Abgeordnete aus Shrevenport im US-Bundesstaat Louisiana für die christliche Rechte ein Hoffnungsträger ist, steht außer Frage. Brent Leatherwood, Chef der Ethik-Kommission der größten protestantischen Einzelkirche, den Southern Baptists, zeigte sich außer sich vor Freude über den Aufstieg des ehemaligen Vorstandskollegen. „Er vertritt die Prinzipien, die vielen Southern Baptists am Herzen liegen“, gratulierte Leatherwood dem neuen Speaker zu dessen rasantem Aufstieg.
Es kam so überraschend, dass Johnsons Ehefrau und Mutter seiner vier Kinder gar nicht mehr rechtzeitig zur Übergabe des Speaker-Hammers nach Washington schaffte. Nachdem er seiner Frau Kelly für ihre Unterstützung gedankt hatte, gab er eine Erklärung für ihr Fehlen, die viele Demokraten zusammenzucken ließ. „Sie hat die vergangenen Wochen auf ihren Knien zu unserem Herrn gebetet“, sagte Johnson voller Ernst. „Sie ist jetzt ein wenig erschöpft.“
Seinen Aufstieg an die Spitze des US-Kongresses verdankt der 51-Jährige auch seiner Loyalität zu Donald Trump, dessen treueste Gefolgsleute sich unter den Evangelikalen finden. Der Speaker, der mit seinem perfekten Scheitel, smarter Brille und sanfter Stimme wie ein braver Bürger erscheint, profilierte sich in der Vergangenheit als knallharter Trumpist. Sein Spitzname ist MAGA-Mike, wobei MAGA für den Slogan des Ex-Präsidenten „Make America Great Again“ steht.
Keine Frage, dass auch er den Wahlsieg des Demokraten Joe Biden nicht für rechtens hält. Während sich sein Mentor Jim Jordan bei der Anfechtung von Bidens Sieg als lautstarker Wadenbeißer in Szene setzte, arbeitete Johnson im Januar 2021 im Verborgenen an einem Plan, Bidens Einsetzung als Präsident im Repräsentantenhaus anzufechten. Er verfasste auch eine Eingabe an das Oberste Gericht, die darauf abzielte, die Wahlergebnisse in vier Bundesstaaten für ungültig erklären zu lassen. Dafür sammelte er Unterschriften in der Fraktion.
Als Johnsons Name im Kandidaten-Karrussell auftauchte, erteilte Donald Trump seinen Anhängern im Kongress die Anweisung: „Erledigt es, schnell!“ Sollte der Speaker Recht haben mit seiner Erklärung für seinen Aufstieg, hat Gott durch Trump gesprochen. Denn nach dessen Wahlempfehlung gab es keine Einwände mehr vom harten rechten Kern der Fraktion.
Die alternative Erklärung hat mit den Positionen zu tun, die Johnson vertritt. Mit seiner Wahl zum Speaker geht ein Fiebertraum der MAGA-Populisten in Erfüllung: Johnson gilt als radikaler Abtreibungsgegner, lehnt die „Homo-Ehe“ und LGTBQ+-Rechte ab und zweifelt offen den Klimawandel an. Hilfe für Israel unterstützt er, Waffen für die Ukraine nicht.
Johnson kommt wie ein sanfter Prediger daher, vertritt aber nicht weniger grelle Positionen als Matt Gaetz, der den Coup der rechten Rebellen gegen Ex-Speaker McCarthy angeführt hatte. „Es zeigt, wo die Macht in der Republikanischen Partei liegt“, jubelt Gaetz in einem Gespräch mit Trumps ehemaligen Chefstrategen Steve Bannon über die Wahl von „MAGA Mike Johnson“.
Dass der frischgebackene Speaker seinen Instinkten nicht freien Lauf lassen kann, hat mit der knappen Mehrheit seiner Fraktion zu tun. Sollte Johnson aus Sicht moderater Abgeordneter in der Fraktion zu weit übers Ziel hinausschießen, bräuchte es nicht mehr als fünf Republikaner, um ihn abzusetzen. Denn bei den Demokraten erhielt der Mann mit dem Image eines „strikten Ideologen“ gewiss keine Unterstützung.