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Sprechen über das, was sprachlos macht

Nürnberg (buc) - Das Theologische Hofgespräch im Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Haus (CPH) findet entweder im Freien, im Hof der Akademie, oder drinnen mit Blick auf denselben statt. Vor dem jüngsten Gespräch, erzählt CPH-Cheftheologe Claudio Ettl, habe jemand gefragt: „Muss man sich warm anziehen?“ Die Runde trifft sich entsprechend der Jahreszeit natürlich im Saal und nicht draußen, doch warm anziehen muss man sich in der katholischen Kirche gegenwärtig so oder so. Und eine Sprache finden für das, was im Grunde „sprachlos“ macht, so Ettl zu Beginn des Abends.
Die Missbrauchsskandale, jüngst durch das Münchner Gutachten erneut in den Blick der Öffentlichkeit gerückt, lasten schwer auf der Kirche und auf jeder, auf jedem einzelnen Gläubigen. Grund genug für die Initiatoren des Gesprächs, Ettl und KEB-Geschäftsführerin Kathi Petersen, das Thema spontan auf die Tagesordnung zu setzen. Und mit der schlichten Frage zu beginnen: „Wie geht’s Ihnen?“ Was bewegt die Katholiken in diesen Tagen, was denken sie über ihre Kirche, in welchen inneren und äußeren Diskussionen stehen sie, was hält und trägt sie noch?
Gut 20 Personen nehmen an der Diskussion teil, fast alle kommen zu Wort, manche mehrfach, es entsteht kein Stimmengewirr, sondern ein Bild entfaltet sich, von der katholischen Kirche der Gegenwart, von Hoffnungen und Enttäuschungen, von Empörung und Entsetzen, aber auch von tiefer Gläubigkeit und Beheimatung, die im Kern durch nichts zu erschüttern ist. „Ich kann ja nicht aus mir selber austreten“, sagt jemand, als die Frage der Kirchenmitgliedschaft zum wiederholten Male zur Sprache kommt.
Die Teilnehmer berichten vom hohen moralischen Anspruch der Kirche, der im Widerspruch zu den geschehenen Verbrechen stehe. Sie erzählen, wie sie als Jugendliche bei der Beichte wegen „Unschamhaftigkeit“ oder „Unkeuschheit“ zur Rechenschaft gezogen wurden. Eine Frau erinnert sich, wie ein Priester ein Mädchen an den Haaren im Kreis durch den Raum zog. „Ich habe das aber nie mit meinem Glauben und meiner Kirche in Verbindung gebracht“, fügt sie hinzu. Die Kirche, das eine; ihr „Bodenpersonal“, das andere.
„Rosiges Bild“ von Kirche
Nicht die Kirchentaten zählen, sondern Kinderglaube, so oder ähnlich formuliert es eine ganze Reihe weiterer Diskussionsteilnehmer. Sie schildern, wie viele tolle Menschen sie in der Pfarrgemeinde kennengelernt haben. Ein „rosiges Bild“ der Kirche habe er, sagt ein Mann. „Die Lehre hat mich nie so interessiert.“ Ein anderer bekundet Distanz zur Amtskirche, die die Lüge zum System gemacht und die Scheinheiligkeit gefördert habe, dabei ihre Kernbotschaft verrate: „Sie muss ihre Botschaft auch nach innen leben.“ Zum Glück, betont eine Frau mit Blick auf die Verbrechen, komme das jetzt alles ans Tageslicht. „Aber“, ergänzt sie, „mit der Kirche selber hat das für mich nichts zu tun.“
Auch andere äußern sich erstaunlich wenig überrascht über das Ausmaß der sexualisierten Gewalt in der Kirche, vor allem über das Schweigen und Vertuschen der Kirchenoberen, das sich nun zunehmend offenbart. „Die heilige Mutter Kirche darf nicht beschädigt werden“, so sei die Einstellung gewesen, schildert jemand. So wurden Täter geschont und konnten sich andernorts neue Opfer suchen.
Als „schlimm“ bezeichnet es ein Diskutant, dass der frühere Papst Benedikt XVI. noch heute etwa Exhibitionismus vor minderjährigen Mädchen nicht als kirchliches Vergehen gewertet haben möchte und davon spricht, dabei handele es sich nicht um „Missbrauchtstäter im eigentlichen Sinne“, weil es ja zu keiner Berührung gekommen sei. Das Meinungsbild dürfte sich durch die inzwischen nachgereichten Erklärungen Joseph Ratzinger nicht wesentlich verändert haben.
Intensiv und ausführlich spricht die Runde über das Bild von Kirche, das sich in den Missbrauchs- taten spiegelt und das nun auf dem Prüfstand steht. Die Kirche als Konzern, als Unternehmen, mit „Machtmenschen, die gelernt haben, Positionen zu erringen“, wie einer desillusioniert sagt? Die Kirche werde nun zurechtgerüttelt und -geschoben, ergänzt jemand – und werde noch lange brauchen, zur Selbstreflexion zu kommen. Der Klerikerstand? „Das sind fehlbare Menschen. Wir dürfen sie nicht länger in den Himmel heben.“
Die Kirche, auch das wird betont, ist nicht das Reich Gottes, nicht die „societas perfecta“, sondern müsse sich kreativ und subversiv den notwendigen Veränderungen stellen. Sie schafft Räume, in denen Gott „ja“ zum Menschen sagt. Der Synodale Weg in Deutschland als „letzte Chance“, auch davon ist die Rede. Der Druck steigt, „es gibt keine Ausreden mehr“, wie Claudio Ettl während der Diskussion sagt.
Ganz zum Schluss nimmt eine jüngere Frau das Wort, zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend. Die Gemeinde vor Ort gebe den Menschen sehr viel, sagt sie und berichtet von guten Erfahrungen, die sie mit ihrer Familie gemacht habe. „Ich habe das Gefühl, dass meine Kinder dort Heimat finden. Wir können sehr viel mitnehmen, deswegen bleibe ich da erstmal drin.“ Der kalte Mantel der Kirche, er kann auch wärmen.

INFO
Das nächste Theologische Hof­gespräch im CPH ist für 28. April (18 bis 20 Uhr) vorgesehen. Das Thema wird aktuell festgelegt.