Wort von Erzbischof Dr. Ludwig Schick an die Pfarrgemeinden im Erzbistum Bamberg zum Beginn der Fastenzeit:
Liebe Schwestern und Brüder!
„Herr, baue deine Kirche wieder auf!“ Diese Bitte ist mir in den letzten Monaten immer wieder auf die Lippen gekommen. Dazu kamen mir Verse der Bibel in den Sinn, zum Beispiel aus dem ersten Buch
der Makkabäer: „Sie sagten zueinander: Wir wollen die Trüm-mer unseres Volkes wiederaufbauen und für unser Volk und das Heiligtum kämpfen. Und sie kamen zusammen, … um zu beten und Erbarmen und
Mitleid zu erflehen“ (1 Makk 3,43–44). Auch an den heiligen Franziskus erinnerte ich mich; er hörte in der zerfallenen Kirche San Damiano in Assisi die Stimme Gottes: „Geh, Franziskus, und stelle
mein Haus wieder her.“
Die Kirche liegt in vielfacher Weise in Trümmern. So erfahre ich es und so erfahren es viele Menschen auch. Das tut mir leid und weh, wie vielleicht auch Ihnen und vielen Gläubigen!
Die Kirche war und ist uns doch geistige Heimat. In ihr hören wir die Frohe Botschaft, die uns guttut: Vom guten Gott, der uns Gutes schenkt und uns den Himmel bereitet, der schon auf Erden
beginnen soll in Gerechtigkeit, Friede und Freude; das gibt Hoffnung und Zuversicht im Leben. Die Kirche bringt uns Jesus Chris-tus als Vorbild und Beistand nahe, den Gesandten und das Abbild
Gottes, mit seinem respektvollen, liebenden Umgang mit den Menschen, vor allem mit den Armen und Kranken; das hat inspirierende Kraft – in uns und in unserer Gesellschaft.
Wir feiern die Eucharistie, die Taufen, Firmungen, Eheschließungen, Priesterweihen, Krankensalbungen; sie und die anderen Gottesdienste tun der Seele gut, bauen auf und trösten. Viele waren und
sind Ministrantinnen und Ministranten und haben in Jugendgruppen gute Gemeinschaft erfahren und dabei viel für das Leben gelernt. Es gibt überall kirchliche Kindergärten und Schulen, die hohe
Anerkennung genießen; wir haben sie selbst besucht und erfahren von Freunden und Bekannten, wie sehr sie diese Angebote der Kirche schätzen. Wir kennen viele Caritaseinrichtungen: zum Beispiel
die Beratungsstellen für Ehe und Familie sowie für Alleinstehende, für Betroffene von Alkohol- und Drogenmissbrauch. Bekannt sind die Einrichtungen für behinderte Menschen, auch die Seniorenheime
und Hospize, die von der Kirche getragen werden. Tausende Ehrenamtliche praktizieren ihren Glauben und engagieren sich in Kirche und Gesellschaft für das Gemeinwohl. Das alles darf doch nicht
aufhören!
Zugleich spüren ich und viele Katholiken mit mir die Belastungen und den Frust durch den furchtbaren Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, der im Raum der Kirche durch Bischöfe, Priester,
Diakone und andere Mitarbeitende geschehen ist. Machtmissbrauch im Alltag der Kirche und Missachtung von Menschen durch Verantwortungsträger sowie Finanzskandale kommen hinzu.
„Es ist zum Fortlaufen“, sagen wir im Sprichwort. Viele Katholiken, auch aus dem Kernbereich der Pfarreien und dem Bistum, machen es tatsächlich; die Zahl der Kirchenaustritte ist horrend.
Die Bitte: „Herr, baue deine Kirche wieder auf!“, ist einem Gebet aus China entnommen, das sich auch in unserem Gotteslob findet:
„Herr, erwecke deine Kirche und fange bei mir an.
Herr, baue deine Gemeinde und fange bei mir an.
Herr, lass Frieden und Gotteserkenntnis überall auf Erden kommen und fange bei mir an.
Herr, bringe deine Liebe und Wahrheit zu allen Men-schen und fange bei mir an“ (GL 22,3).
Aber mit dem Hinweis auf dieses Gebet darf ich nicht und kein Amtsträger die Verantwortung für die derzeitige Misere der Kirche und für ihre Erneuerung auf die Gläubigen abwälzen, die treu zur
Kirche stehen und sich in ihr engagieren, eine Erneuerung der Kirche wollen und anmahnen.
Die Skandale, die die Trümmer in der Kirche verursacht haben, sind vor allem durch Verantwortungsträger geschehen. Bei ihnen muss die Reinigung und der Wiederaufbau beginnen. Dabei muss die ganze
Wahrheit auf den Tisch! Denn nur die ganze Wahrheit macht frei und ermöglicht Zukunft.
Die ganze Wahrheit, das meint in diesem Fall, dass die, die Missbrauch begangen haben, benannt und – soweit möglich – zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei muss vor allem den Opfern und
Betroffenen Gerechtigkeit im umfassenden Sinn zukommen. Das muss das wichtigste Anliegen sein! Darüber hinaus gibt es auch noch die, die Vertuschung begangen und Aufarbeitung verhindert
haben.
Die ganze Wahrheit sieht aber auch die – und das ist der weit größere Teil der Diakone, Priester, Bischöfe, Ordenschristen, pastoralen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter –, die sich nichts haben
zuschulden kommen lassen, sondern untadelig ihren Dienst getan haben.
Die Begriffe „Haus“ und „Bau“, Bauen und Wiederaufbau kommen aus dem Baugewerbe. Kirche wird auch im Neuen Testament „Haus“ (1 Petr 2,5) oder „Bau“ (Eph 2,21f.) genannt. Im Bau Gottes, der
Kirche, gibt es derzeit Trümmer, Risse und an etlichen Stellen droht Einsturzgefahr. Wer Wiederaufbau will, der muss die Schadstellen sehr genau betrachten und darf sich über das ganze Ausmaß der
Schäden nichts vormachen.
Man muss auch die Ursachen genau feststellen: Liegt es an den Fundamenten oder am Gebälk, an verkehrten Materialien, die verwendet wurden, oder an Architekten und Statikern, dass es so weit
kommen konnte? Das sind die systemischen Fehler, die behoben werden müssen. Andernfalls ist die Renovierung Übertünchen und Schönheitsreparatur ohne Langzeitwirkung. Der Synodale Weg, den die
deutsche Kirche geht, und der Synodale Prozess, der von Papst Franziskus angeregt wurde, wollen die systemischen Fehler erkennen und beheben.
Wahr ist sicher auch, dass wir alle Kirche sind, jeder Getaufte ist Kirche. Wir alle müssen uns erneuern im Geist Jesu und am Wiederaufbau der Kirche mitwirken. Dabei kann es nicht um eine neue
Kirche gehen, sondern um die Erneuerung der Kirche Jesu Christi, die seit 2000 Jahren besteht.
Diese Kirche soll eine geschwisterliche und familiäre sein, in der es Ämter, wie Pfarrer in den Ortsgemeinden, Bischöfe in den Diözesen und den Papst für die Weltkirche, gibt. Sie werden dafür
von Jesus Christus mit heiliger Vollmacht ausgestattet. Ähnliches gilt für die Diakone. Ihnen und allen Mitarbeitenden in der Kirche hat Jesus gesagt: „Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel
zurückgefordert werden und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man umso mehr verlangen“ (Lk 12,48).
Wenn wir alle geschwisterlich miteinander umgehen, dann trauen wir uns auch gegenseitig und gegenüber den Amtsträgern die offene Rede, das klare Wort, die aufbauende Kritik zu, weil wir wissen,
es ist unser Haus, das uns von Jesus Christus anvertraut wurde, damit wir darin leben und es von Generation zu Generation weitergeben. Dieses Haus soll auch in die Gesellschaft hinein wirken in
der Verkündigung des guten Gottes, durch die Feier der Gottesdienste zum Heil der Menschen und in Werken der Liebe für das Gemeinwohl.
Liebe Schwestern und Brüder im Erzbistum Bamberg und Sie alle, die diesen Fastenhirtenbrief hören und lesen, schließen Sie sich meiner Bitte an und beten wir gemeinsam: „Herr, baue deine Kirche
wieder auf!“ Das können wir nur, wenn wir in der Kirche bleiben und nicht austreten. Auftreten, nicht austreten, muss das Motto sein! Werben wir auch für das Bleiben und Mittun, indem wir auf das
gute Wirken der Kirche hinweisen. Arbeiten wir mit in den Ämtern und Ehrenämtern. Dazu gehören ganz wesentlich die Pfarrgemeinderäte, die am 20. März neu gewählt werden. Nehmen Sie an den Wahlen
teil.
Tun wir alles, was uns möglich ist, dass die Kirche Jesu Christi – das Haus Gottes, in dem es viele Wohnungen gibt –, zu der wir gehören und in der wir lebendige Steine sein sollen, lebendig ist
und wirken kann.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Fastenzeit, auf das Osterfest hin. Möge sie eine Zeit der Erneuerung des geistlichen Lebens in uns allen sein und zur Erneuerung der Kirche beitragen: Herr, baue
deine Kirche wieder auf und fange bei mir an!
Es segne Sie und Euch der allmächtige und barmherzige Gott, + der Vater und + der Sohn und + der Heilige Geist.
Ihr Erzbischof
Dr. Ludwig Schick