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Arbeitsplatz muss kein gnadenloser Ort sein

Die Arbeitswelt ist ein Ort, an dem Gottes Zuwendung auf besondere Weise erfahrbar sein kann: Dies versuchen Ottmar Fuchs (links) und Manfred Böhm in ihrem Buch zu zeigen.              Foto: buc
Die Arbeitswelt ist ein Ort, an dem Gottes Zuwendung auf besondere Weise erfahrbar sein kann: Dies versuchen Ottmar Fuchs (links) und Manfred Böhm in ihrem Buch zu zeigen. Foto: buc

Bamberg - Zwei Holzbalken, die sich scheinbar zufällig zu einem Kreuz formen: Das Foto, das sich auf den Leitlinien der katholischen Betriebsseelsorge in Deutschland findet, ziert auch das Cover des Buches „Würde statt Verwertung in der Arbeitswelt“, das Manfred Böhm und Ottmar Fuchs nun vorgelegt haben. Das Baustellenfoto zeige wie in einem Brennglas das Anliegen, schreiben die Theologen einleitend: „Mitten in den Strukturen der Arbeitswelt, die geprägt ist von Zwängen, von Abhängigkeiten und vom Verwertungsparadigma, genau dort trifft man auf das Unerwartete, auf kleine Zeichen der Proexistenz, auf den überquellenden Mehrwert des Menschlichen.“
Wie kam es zu dem Buch? Manfred Böhm fiel auf, dass die von Fuchs entwickelte Gnadentheologie, derzufolge das Leben als Geschenk angesehen werden kann, gratis ohne eigenes Zutun gegeben und in wunderbaren Erfahrungen zu entdecken, erstaunlich viel zu tun hat mit der Arbeitswelt und deren Problemen. Und so taten sich der Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum und sein einstiger Doktorvater, langjähriger Theologieprofessor in Bamberg und Tübingen, für das Buchprojekt zusammen. Ottmar Fuchs findet es zwar etwas missverständlich, in der oft gnadenlosen Erwerbswelt von Gnade zu sprechen („Feudale Begriffe sind wenig hilfreich“), es gehe eher um Gerechtigkeit. Doch es sei spannend, „diese Dimension der Gabe auch in der Arbeitswelt zu entdecken“.
Kapitel 1 und 3 im Buch stammen aus der Feder von Fuchs, Böhm steuerte drei Kapitel bei. „Wir haben gegenseitig alles gelesen und uns reingeschrieben“, schildern sie die Entstehung. Ein weiteres Kapitel umfasst „gnadenhafte Erfahrungen“ aus der Betriebsseelsorge in der Erzdiözese, gefolgt von „politischer Gebrauchslyrik“, beide aus Böhms Feder. „Die Gnade soll nicht dazu dienen, dich ruhig zu halten“, schildert er die Stoßrichtung. Sie verweise vielmehr auf ein besseres Leben, auf Solidarität und gute menschliche Erfahrungen auch im Betrieb. „Die Gnade Gottes ist nicht gleichgültig gegenüber Niedriglöhnen“ sagt der Betriebsseelsorger in Abwandlung eines Ausspruchs des Theologen Johann Baptist Metz. Böhm erinnert zudem an Wilhelm Hohoff, einen katholischen Priester, der auf August Bebels Kirchenkritik antwortete: „Christentum und Kapitalismus sind wie Feuer und Wasser.“
Kräfte für den Widerstand
Die Arbeitswelt müsse kein gnadenloser Ort sein, äußern die Buchautoren. Es gehe darum, Räume und Kraftfelder zu erschließen, in denen sich „Kräfte für den Widerstand“ ansammelten, fügt Ottmar Fuchs hinzu. Die beiden machen kein Hehl aus ihrer kapitalismuskritischen Grundhaltung: Die Kernerfahrung von Gnade stehe der Verwertungslogik in der Arbeitswelt diametral gegenüber. Das wiederum, so Böhm, habe nicht nur eine sozialethische, sondern eine eminent theologische Bedeutung: „Das Innerste der Theologie widerspricht dem Innersten unseres Wirtschaftssystems.“ Dieses sei ein „Opfer produzierendes System“. Insofern sei Gnade kein veralteter Begriff, sondern ein hochpolitisches Konzept.
Das Buch richtet sich den Autoren zufolge nicht direkt an die Arbeitnehmer, sondern ist als Anregung und Leitfaden für die Praktiker in der Betriebsseelsorge gedacht. „Die Erfahrungen haben sie“, sagt Ottmar Fuchs über die Menschen in Betrieben und Büros. „Die Sprache, die wir führen, haben sie nicht. Das heißt aber nicht, dass ihnen etwas fehlt. Sie haben dafür ihre eigene Sprache, die es zu entdeckten gilt.“ Es geht seinen Worten zufolge darum, dem Thema aus theologischer und seelsorgerlicher Perspektive eine „eigene Wucht“ zu geben. „Viele Erfahrungen haben mit Gnade zu tun“, so der emeritierte Wissenschaftler, „mit einem Gott, der nicht selbst zur Leistung moralisiert werden darf“. Allerdings: Theologie sei selbst kapitalistisch, wenn sie in einer Wenn-Dann-Struktur arbeite, wenn Gottes Liebe selbst zum Verwertungsergebnis werde: Gott liebt Dich nur, wenn du brav bist. Eine „Häresie sondergleichen“ nennt Fuchs das prononciert.
„Ein Arbeiten in diese Richtung“, so würde Manfred Böhm im Sinne der Buchthesen die Tätigkeit der Betriebsseelsorger sehen. Immer wieder sei die Kirche auf der Suche nach einem anderen Ort in der Welt – dort, wo man sie nicht erwarte: „Da sind wir schon seit Jahrzehnten“, so der Theologe. Als Kirchenvertreter stoße man in den Betrieben durchaus auf Vorbehalte: „Jetzt kommt der wieder, hat er sein Weihwasser dabei? Bist du immer noch bei dem Missbrauchshaufen?“ Das und ähnliches bekommen Böhm und seine Kollegen ab und zu zu hören. Doch wenn die Arbeitnehmer die Seelsorger dann im Handeln erlebt hätten, sei das keine Frage mehr. „Wir sind respektiert“, sagt der Betriebsseelsorger, „respektierter als manche andere in der Kirche.“
In zwei Jahren tritt Manfred Böhm in den Ruhestand, dann will er Zeit finden, ein Lesebuch über Leonhard Ragaz (1868-1945) herauszugeben, den großen reformierten Hoffnungs- und Befreiungstheologen. Ottmar Fuchs wiederum, der gerade auch ein Buch über Annette von Droste-Hülshoff veröffentlicht hat, hat sich bereits die nächste Schriftstellerin vorgenommen: Er schreibt über Christa Wolf.                                                                          Bernd Buchner