Bonn (KNA) – Am 10. Juni wird der renommierte deutsche Staatsrechtler Josef Isensee 85 Jahre alt. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Isensee über
Menschenwürde, Naturrecht und die Krise der katholischen Kirche.
Professor Isensee, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ heißt es feierlich am Anfang des Grundgesetzes. Was hat dieser Satz für eine Bedeutung?
Josef Isensee: In diesem
Satz zeigt sich, dass der Indikativ die schärfste Form des Imperativs ist. Seit Kindesbeinen können wir das feststellen. Wenn die Mutter sagt, „Es wird gegessen was auf den Tisch kommt“, dann
heißt das, es wird die Möglichkeit des Ungehorsams überhaupt nicht kalkuliert. So macht es auch die Verfassung. Die Aussage will nicht Wirklichkeit beschreiben, sondern Wirklichkeit
schaffen.
Der Staat hat demnach die Würde des Menschen zu achten und zu beschützen. Und das hat zwei Seiten: Die staatliche Gemeinschaft hat die Menschenwürde hinzunehmen und darf sie nicht antasten.
Zugleich können aber auch dritte, nicht-staatliche Kräfte die Menschenwürde beeinträchtigen. Und hier hat der Staat Schutz zu bieten und diese Gefahr zu bannen.
Sie vertreten die Ansicht, dass der Begriff der Menschenwürde genuin christlich konnotiert ist …
Josef Isensee: Eine wichtige Basis dafür ist die Gottebenbildlichkeit des
Menschen aus dem Alten Testament. Und die zweite Begründung kommt aus dem Neuen Testament: Gottes Sohn hat Menschennatur angenommen. Diese Begründung der Menschenwürde findet sich in den
liturgischen Texten schon im ersten Jahrtausend. Leo der Große führte damals ein Gebet ein, dass in jeder heiligen Messe verwendet wurde: „Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar
erschaffen und noch wunderbarer erneuert.“ Interessanterweise hat die Kirche den Text gestrichen, als sie ihren vollen Frieden mit den Menschenrechten machte.
Wir leben aber in einer immer säkularer werdenden Gesellschaft. Wie kann die Plausibilität dieses religiös fundierten Begriffs erhalten werden?
Josef Isensee: Wenn wir von dem Satz des Grundgesetzes ausgehen, dann ist eine Aussage gegeben, die völlig unabhängig von seinen Begründungen steht. Niemand der diesen Satz zitiert, hat eine
theologische oder philosophische Begründung zu schlucken. Hier wird nur gesagt, auf welcher Basis dieser Satz steht. Man muss unterschieden zwischen der Menschenwürde als solcher und den
praktischen Konsequenzen. Denn die Menschenwürde als Letztbegründung lässt sich nur religiös aufrechterhalten.
Die unmittelbaren Konsequenzen sind recht unterschiedlich. Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings sehr schnell dabei, irgendwelche praktischen Folgerungen aus der Menschenwürde abzuleiten.
Und damit wird sie ein Totschlagargument. Nur sollte klar sein, sie ist eigentlich kein Grundrecht, sondern der letzte Grund der Grundrechte. …
Das ausführliche Interview lesen Sie in der Ausgabe 24/2022