Hannover (epd) - Die heiligen Schriften der Christen und des Islam haben aus Sicht des evangelischen Theologen Wolfgang Reinbold deutlich mehr Gemeinsamkeiten, als selbst
religiös gebildete Menschen vermuten. Mehr als zwei Drittel des islamischen Koran enthielten Bezüge zu den Geschichten der jüdisch-christlichen Bibel, sagte Reinbold in Hannover. Der Professor
und Islam-Kenner hat jetzt ein Textbuch herausgegeben, in dem allen 114 Koran-Suren entsprechende oder vergleichbare biblische Texte gegenübergestellt sind. Die Sammlung ist die erste ihrer
Art.
„Ich stoße bei meinen Fortbildungen und Begegnungen immer wieder auf Verblüffung, wenn ich darlege, dass sich Koran und Bibel vielfach auf dieselben Grunderzählungen beziehen“, erläuterte
Reinbold. So erzähle der Koran etwa in Sure 12 die Geschichte von Josef und seinen Brüdern, die auch aus dem 1. Buch Mose der Bibel bekannt ist. Darüber hinaus enthält das neue Textbuch jüdische
und christliche Texte aus der Zeit bis zum 6. Jahrhundert sowie etwa 500 Überlieferungen aus dem Leben des Propheten Muhammad, die sogenannten Hadithe.
Das Buch wolle eine Grundlage für den interreligiösen Dialog schaffen, sagte Reinbold. „Mein Buch interpretiert weder den Koran noch die Bibel, es sammelt lediglich Bezüge.“ Christen und Muslime
könnten auf diese Weise auch das heilige Buch der jeweils anderen Religion kennenlernen. Die Zeit sei reif dafür, sich unvoreingenommen mit dem jeweils anderen Glauben zu befassen. Bei allen
Gemeinsamkeiten gebe es allerdings auch deutliche Unterschiede, weil beide Religionen die jeweiligen Traditionen anders auslegten. So verneine der Islam die Kreuzigung Jesu.
Wolfgang Reinbold lehrt Neues Testament an der Universität Göttingen.