Nürnberg (buc) – Ludwig Schick hat jetzt Zeit. Schon eine knappe halbe Stunde vor der Podiumsdiskussion mit Ministerpräsident Markus Söder ist er ins Nürnberger
Caritas-Pirckheimer-Haus gekommen, plaudert mit Gästen, geht auf Bekannte und Weggefährten zu, schüttelt Hände, lässt sich in Gespräche ziehen. Nicht nur terminlich ist der nun emeritierte
Erzbischof offenbar deutlich entspannter unterwegs, auch im Auftreten wirkt der 73-Jährige fast gelöst, nicht mehr so atemlos wie zuweilen in seiner Amtszeit.
In Schicks Stimme liegt gleichwohl eine Art Wehmut. Der Tonfall hat sich verändert, ist auf merkwürdige Art zugleich weicher und zupackender. „Ich bin jetzt nicht mehr im Amt“, sagt er, „ich bin
außer Dienst, aber zu Diensten“: Das ist leicht zittrig gesprochen, klingt dennoch wohlüberlegt und selbstbestimmt. „Jetzt kann ich mich mehr am geistlichen Leben freuen und das auch
weitergeben“, fügt der gewesene Oberhirte hinzu; es lässt sich spüren, wo Schick in seinen Amtsjahren einen Mangel verspürte und was zu seiner Rückzugsentscheidung, die viele überrascht und auch
vor den Kopf gestoßen hat, beitrug.
Söder, der als amtierender Landesschef standesgemäß etwas zu spät kommt, spricht mit Blick auf Schicks Rücktritt von einem „Paukenschlag“. Er bedauere das sehr, fügt der Ministerpräsident hinzu,
doch Söder wäre nicht Söder, würde er auf diese fränkische Freundlichkeit nicht sofort eine Volte dazusetzen: „Es gibt manche Bischöfe, bei denen man sich das wünschen würde“, sagt Söder mit
bekannt diabolischem Grinsen im Gesicht, und naturgemäß lässt er im Unklaren, ob er nun den Kölner Kardinal Woelki oder andere Oberhirten damit meint.
Der Landeschef wirkt sehr überzeugend und aufrichtig, wenn er über seinen – evangelischen – Glauben spricht, was auch Heiterkeit auslöst, wenn er sich für die „Toleranz“ bedankt, im katholischen
CPH sprechen zu dürfen. Entschieden ruft er die Christen auf, ihre Botschaft mit mehr Begeisterung zu verkünden. Offen spricht Söder auch darüber, wie er gerade in der Coronazeit mit ihren viele
schwierigen politischen Entscheidungen eine „neue und ganz tiefe Beziehung“ zum Glauben gefunden habe – und noch stärker als sonst das Gebet suchte. Wie bei Schick legt sich, wenn er das
schildert, ein leichtes Zittern in die Stimme.
Doch es gibt auch den anderen Söder, den notorisch flapsigen Nürnberger wie den lustvollen Demagogen, der keine Gelegenheit auslässt, durch die Hintertür über politisch Missliebige und
Missliebiges zu sticheln. Die bayerische Maskenaffäre, von Moderator und CPH-Chef Siegfried Grillmeyer angesprochen, moderiert der CSU-Chef gekonnt weg, greift stattdessen die angeblich
kreuzabhängende Außenministerin Baerbock an. Bayern sei, so Söder, im Vergleich zum Rest der Welt eine „Insel der Seligen“, und er muss dabei nicht einmal über sich selbst lächeln. Aus den
Gesprächen mit den bayerischen Bischöfen berichtet der Ministerpräsident, er habe dort Kardinal Marx einmal gefragt: „Haben Sie schon mal einen Engel gesehen?“ Eine Antwort des Münchner
Erzbischofs ist nicht überliefert.
Thema „Vertrauen“
Der Gesprächsabend, zu dem die örtliche Gesellschaft St. Sebald eingeladen hatte, stand unter dem Leitwort „Vertrauen“. Söder holte bei der Näherung an das
Thema sehr weit aus, fing bei der Vertreibung aus dem Paradies an („Der blöde Apfel!“) und kam beim Synodalen Weg zum Stehen, der „viel Vertrauen geweckt und auch enttäuscht“ habe. Der
emeritierte Erzbischof betonte die Aufgabe der Kirche, nach den Missbrauchsskandalen verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen: „Das muss aufgearbeitet werden und muss ans Licht.“
Auf die Frage von Moderator Grillmeyer, ob nicht die sozialen Medien durch Überspitzung und Polarisierung zu einem Verlust an Vertrauen beitrügen, antwortete der begeisterte Twitterer Schick, die
neuen Medien hätten ihren Sinn, dürften aber das persönliche Gespräch nicht ersetzen. Söder merkte an: „Halten wir diese Debatten doch aus.“ Demokratie sei wie Fußball ein Laufsport.
„Was tun Sie beide, um den Jüngeren das Vertrauen zurückzugeben?“ lautete eine der Anfragen aus dem Publikum. Schick fand das zu pauschal; er selbst habe ebenfalls bei „Fridays for Future“
mitgemacht. „Bleibt dran“, rief er die junge Generation auf. Vertrauen wachse durch das eigene Tun. Und Söder, der zuvor eifrig gegen die „Klimakleber“ gewettert hatte, die im Freistaat
inzwischen ohne Anklage vier Wochen eingesperrt werden dürfen? „Wir pflanzen jedes Jahr 16 Millionen Bäume. Die kann ich gar nicht alle umarmen.“ Grillmeyer dankte dem Ministerpräsidenten und
Schick abschließend für das „ruhige Nachsinnen und Nachdenken“.