Gütersloh/Berlin (KNA) - Mehr als jedes fünfte Kind unter 18 Jahren ist einer Analyse zufolge im Jahr 2021 in Deutschland von Armut bedroht gewesen. Es handelt sich um 2,88
Millionen Mädchen und Jungen, wie die Bertelsmann-Stiftung am Donnerstag in Gütersloh mitteilte.
„Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftschancen“, sagte Bertelsmann-Expertin Anette Stein. Die
Stiftung warnte, die derzeitigen Krisen und Preissteigerungen verschärften das Problem.
In der Auswertung gelten Kinder und Jugendliche als armutsgefährdet, wenn ihre Familie über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügt. Zudem gibt laut Stiftung der
Anteil der Kinder in Haushalten, die Sozialleistungen beziehen, Hinweise zum Armutsrisiko. Diese Gruppe sei zum ersten Mal seit fünf Jahren deutlich gewachsen: So hätten vergangenen Sommer rund
1,9 Millionen Minderjährige in Haushalten mit Sozialleistungen gelebt.
Die Zunahme sei vor allem auf die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen zurückzuführen, erklärte die Stiftung. Zudem gebe es starke regionale Unterschiede: Während im bayerischen
Roth die Quote der betroffenen Kinder nur bei 3 Prozent lag, waren es im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen 42 Prozent.
Insgesamt gesehen, sind der Analyse zufolge Kinder mit alleinerziehenden Eltern sowie mit zwei und mehr Geschwistern überdurchschnittlich von Armut betroffen. Neben den Minderjährigen sind zudem
1,55 Millionen junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren von Armut bedroht. Das entspricht etwa jedem Vierten in dieser Altersgruppe, die somit das höchste Armutsrisiko aller Altersgruppen
aufweist. Die hohe Quote zeige, dass verschiedene Maßnahmen für junge Erwachsene wie Bafög oder Wohngeld nicht gut zusammenwirkten, kritisierte Stein. „Ohne Unterstützung durch ihre Eltern wäre
es vielen nicht möglich, ihre Existenz zu sichern.“
Der Familienbund der Katholiken erklärte dazu, die mit der geplanten Kindergrundsicherung verfolgten Ziele der Bündelung und Erhöhung von Leistungen, der vereinfachten, digitalen Beantragung und
der Entbürokratisierung seien richtige Maßnahmen. Jetzt komme es auf die konkrete Ausgestaltung an, sagte Präsident Ulrich Hoffmann. Dabei sei die Höhe der Kindergrundsicherung so zu bestimmen,
dass es jeder Familie möglich ist, ihre Existenz zu sichern und den Kindern hinreichende soziale Teilhabe zu ermöglichen. Wenn die Unterstützung nicht ausreiche, schwinde auch das Vertrauen in
Gesellschaft und Demokratie.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte eine sofortige Anhebung der Grundsicherungsleistungen um mindestens 200 Euro im Monat. „Kinderarmut ist kein Schicksal, sondern Resultat
jahrzehntelanger politischer Unterlassungen“, kritisierte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Der Sozialverband VdK Deutschland rief zu einem Neustart im Kampf gegen Kinderarmut auf. Präsidentin Verena Bentele sagte, es gebe eine lange Liste an familienpolitischen Leistungen, die Kinder
finanziell absichern sollten, aber die Armut nicht wirksam verhinderten. Die wichtigsten familienpolitischen Leistungen müssen dringend zu einer Kindergrundsicherung gebündelt werden.
Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnte dazu, einerseits die materielle Absicherung von Kindern und ihren Familien in den Blick zu nehmen, andererseits aber auch ihre Versorgung in den Bereichen
Gesundheit, Mobilität, Freizeit und soziale Teilhabe.
Der Sozialverband Deutschland forderte mehr kostenlose Ganztags-Kinderbetreuung. „Kinderarmut betrifft vor allem Alleinerziehende, gefolgt von Mehrkindfamilien“, sagte die
SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir brauchen mehr kostenlose Ganztags-Kinderbetreuung von der Kita bis zum Hort.“