Hof (ku) – Ein „Weiter so“ oder nur kleine Reformen – sie reichen nicht aus, um der katholischen Kirche in ihrer derzeitigen Vertrauenskirche zu helfen. Vielmehr brauche es
tiefgreifende Veränderungsprozesse die keine kirchliche Ebene verschonen dürfen. Ein eher düsteres Szenario zeichnete die Freiburger Theologieprofessorin Ursula Nothelle-Wildfeuer in ihrem
Vortrag beim Neujahrsempfang des Erzbistums Bamberg, zu dem am vergangenen Samstag rund 400 Gäste aus Kirche, Politik, Gesellschaft und Kultur in die Freiheitshalle Hof gekommen waren. Und auch
Weihbischof Herwig Gössl, als Diözesanadministrator in diesem Jahr der Gastgeber, ging auf die Missstände in der Kirche ein, hob aber auch die Wichtigkeit von Kirche für die Gemeinschaft
hervor.
In seiner Begrüßung betonte Gössl, bei aller Notwendigkeit, Missstände zu kritisieren und künftig zu verhindern, sei Kirche mehr als die Summe des menschlichen Fehlverhaltens. „Kirche baut
Gemeinschaft auf, sie bringt Menschen zusammen und bringt sie in Berührung mit Gott.“
Der missionarische Auftrag von Kirche ergebe sich nicht aus der Notwendigkeit des personellen Selbsterhalts, sondern aus der Sendung, die von Gott ausgehe. Dieser missionarische Auftrag gelte
unabhängig von der Zahl der verbliebenen Christen. Es komme nicht auf die menschliche Kraft an, sondern auf den Geist Gottes, der hinter der Sendung stehe.
Leben in Gemeinschaft sei kein Spaziergang, nicht in der Familie, nicht in der Gesellschaft, nicht im Staat und auch nicht in der Kirche, so Gössl. „Wir erleben oft, wie viel Energie nötig ist,
um die tatsächlich vorhandenen Unterschiede auszuhalten, um trotz Enttäuschungen beieinander zu bleiben und es wieder neu miteinander zu versuchen.“
Kirche sei geschwisterliche Kirche, was auch deutlich mache, dass es unter Geschwistern nicht immer nur harmonisch zugehen müsse. „Da kann man schon auch richtig streiten, entscheidend ist, dass
man trotzdem beieinander bleibt und füreinander einsteht“, sagte der Weihbischof. „Ohne den Willen zur Gemeinschaft gibt es überhaupt keine Zukunft für uns Menschen. Wir können nur gemeinsam in
die Zukunft gehen, oder wir werden überhaupt nicht dort ankommen.“
Grußwort
Die Hofer Oberbürgermeisterin Eva Döhla würdigte in ihrem Grußwort das ehrenamtliche Engagement der Menschen in der Region: „Sie erfüllen den Anspruch der Solidarität jeden Tag aufs Neue mit
Leben. Nur Dank des großen ehrenamtlichen Engagements vieler unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger – sei es in den Blaulichtorganisationen, im Sport, in der Kultur oder im sozialen Bereich – kann
unser gesellschaftliches Zusammenleben gelingen.“ Deswegen gelte ihre besondere Hochachtung all jenen Menschen, „die sich voller Eifer und voller Nächstenliebe um ihre Mitbürgerinnen und
Mitbürger kümmern. Sie sind das Fundament unserer Demokratie.“
Angesichts der berechtigten Ängste vor Krieg, Energie- und Klimakrise rief Döhla auf, Hoffnung und Zuversicht nicht zu verlieren. Der Satz „Fürchtet euch nicht“ aus dem Lukasevangelium sei ihr
ein wichtiger Leitspruch geworden. „Schließlich können Furcht und Angst auch unbesonnen machen. Doch gerade in fragilen Zeiten ist Besonnenheit besonders wichtig. Besonnenes, aber mutiges Handeln
und das Vertrauen auf eine hoffnungsvolle Zukunft muss ein Teil der Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sein.“
Vortrag
„Gemeinsam für die Zukunft. Geschwisterliche Kirche – missionarische Kirche im 21. Jahrhundert“ – so hatte Professorin Ursula Nothelle-Wildfeuer ihren Vortrag überschrieben, in dem sie die
katholische Kirche dazu aufrief, sich nicht mit kleinen Reformen zufrieden zu geben.
Von notwendigen Veränderungsprozessen bleibe keine kirchliche Ebene verschont, sagte die Inhaberin des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Freiburg. Um zukunftsfähig
zu sein, müsse die Kirche missionarisch, authentisch und geschwisterlich sein. „Missionarisch-Kirche-Sein“ gelinge nicht unter Ausschaltung der Fragen und Überlegungen der Menschen von heute:
„Fragen lassen sich nicht verbieten oder unterbinden“, sagte die Theologin und verwies auf die Diskussion über den Zugang von Frauen zu Weiheämtern.
Die dramatisch sinkenden Zahlen der Messbesucher, Priester, Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie die zurückgehende Nachfrage nach kirchlichem Beistand an Lebenswendepunkten ziehe einen
massiven Umgestaltungsdruck nach sich. Taufen, kirchliche Trauungen und Beerdigungen dienten oft allenfalls noch als kultureller und brauchtumsbezogener Rahmen für entsprechende Feste.
Diese mittel- und langfristige Entwicklung werde gegenwärtig noch einmal beschleunigt durch ein wachsendes prinzipielles Misstrauen Institutionen gegenüber, worunter auch die Kirche leide:
„Kirchen generieren ihre gesellschaftliche Akzeptanz nicht mehr aus sich selbst heraus.“ Hinzu komme, dass durch die Missbrauchsskandale „viele Menschen, die sich bislang noch der Kirche
zugehörig gefühlt haben, sich im absoluten Unverständnis, in maßloser Enttäuschung, mehr noch, im Zorn von ihr abwenden“. Der Verlust des Vertrauens in die Institution Kirche werde noch befördert
durch einen Verlust des Vertrauens in das Personal.
Viele Menschen hätten das Gefühl, ihrer kirchlichen Heimat und Wurzeln beraubt zu sein und dass sie mit der kirchlichen Glaubens- und vor allem Morallehre nicht mehr übereinstimmen können. „Sie
erfahren die Kirche auch nicht als eine Institution, die interessiert wäre an ihrem Leben und Alltag, nicht als eine Institution, die wahrhaftig lernbereit wäre.“ Nothelle-Wildfeuer stellte fest:
„Es bestätigt sich nun in dramatischer Weise, was sich schon lange anbahnte: Die Volkskirche verschwindet.“ Angesichts dramatischer Schrumpfungsprozesse gelte es daher, alles auf den Prüfstand zu
stellen.
Zum Pathos einer missionarischen und geschwisterlichen Kirche gehörten das Aushalten von Vielfalt und Uneindeutigkeit sowie die Suche nach verantworteten Lösungen für die jeweiligen Menschen.
Ferner sei nötig der Mut, solche Schritte zu gehen und umzusetzen – „wiederum im Wissen um die Möglichkeit des Irrweges und des Scheiterns, aber auch des Neuanfangs.“
Authentizität führe nicht zu „Leistungsdruck für das Himmelreich, wohl aber zu immer wieder neuen kreativen Realisierungs- und damit Verkündigungsbemühungen, getragen von der Hoffnung, dass diese
Botschaft nicht Vertröstung auf das Jenseits bedeutet, sondern Zuversicht auch für das Diesseits“. Authentizität führe die Menschen nicht nur auf ausgetretene und bereits festgelegte Pfade,
sondern ermutige zur Kreativität und zu neuen, ungewohnten Wegen.
Höchstes künstlerisches Niveau hatten die musikalischen Beiträge während des Neujahrsempfangs. Zusammen mit Dr. Ludger Stühlmeyer (Musikdirektor AVC) brachten Lorenzo Lucca (Violine, 1.
Konzertmeister der Hofer Symphoniker) und Marian Müller (Gesang, Theater Hof) Werke von Daniel Kemminer und dem ehemaligen Bamberger Generalvikar Alois Albrecht zu Gehör. Für den virtuosen
musikalischen Abschluss der Veranstaltung sorgte der Hofer Pianist Vladimir Plakidin.