Hannover (epd) - Die Soziologin Petra-Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sieht Skandale in der katholischen Kirche
nicht als wesentlichen Grund für die erhöhte Austrittsrate unter Protestantinnen und Protestanten. Die aktuell besonders hohen Austrittszahlen in der Region Köln seien unter anderem
„Mitnahmeeffekte“, erläuterte Ahrens dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Viele haben sich schon seit längerem für einen Austritt entschieden. Sie warten im Prinzip nur noch auf eine passende
Gelegenheit.“
Die Entscheidung zum Austritt reife oft langsam heran, sie brauche Zeit, sagte Ahrens. Skandale seien dann lediglich die Rechtfertigung für etwas, dessen Ursache ganz woanders liege.
Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche oder das Gefühl, die Kirche sei irrelevant, seien meist die eigentlichen Gründe für Kirchenaustritte. „Und das ist aus Sicht der Kirchen das Schlimmste
überhaupt“, sagte Ahrens. Selbst mit einem eingefleischten Atheisten habe man wenigstens noch eine Diskussionsgrundlage, aber nicht mit Menschen, denen die Kirche egal sei.
Die Beschleunigung der Austrittsbewegung könne auf eine Sogwirkung zurückzuführen sein, sagte Ahrens. Wissenschaftlich abgesichert sei dies aber noch nicht. Mittlerweile sei nur noch weniger als
die Hälfte der Menschen in Deutschland Mitglied in einer der großen christlichen Kirchen, und die Konfessionslosen könnten eine solche Sogwirkung erzeugen, beschrieb Ahrens.
Die sogenannte Freiburger Studie ist Ahrens' Worten zufolge überholt. Diese Studie hatte ein Szenario gezeichnet, demzufolge die beiden großen christlichen Kirchen bis 2060 rund die Hälfte ihrer
Mitglieder verlieren könnten. Dieses Szenario erscheine im Licht der aktuellen Austrittszahlen überholt. „Um das zu schaffen, müssten wir dauerhaft unter eine Austrittsquote von einem Prozent
kommen“, rechnete Ahrens vor. Im Jahr 2021 hätten allerdings knapp 1,4 Prozent der Protestantinnen und Protestanten ihrer Kirche den Rücken gekehrt.