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Mehrere hundert Pilger und eine Frage

Bochum (KNA) - Die Sonne scheint über Bochum - doch die Stimmung von Erzbischof Georg Gänswein scheint eher bewölkt. Der ehemalige Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. ist an diesem Sonntag ins Zisterzienserkloster Stiepel gekommen, um einen Festgottesdienst zu feiern. Seit 100 Jahren pilgern Katholiken, die aus dem thüringischen Eichsfeld stammen, zum Gnadenbild der Schmerzhaften Mutter von Stiepel. Bereits vor Monaten, kurz nach dem Tod von Benedikt XVI., hatte Gänswein eine Einladung der Eichsfelder Vereine angenommen. Damals hoffte er wohl noch auf eine weitere Fortsetzung seiner Karriere in Diensten des Papstes.
Doch wenn es stimmt, was die „Welt“ am Freitag unter Berufung auf „mehrere hochrangige Kirchenquellen“ meldete, bleiben Gänswein nur noch vier Wochen, um Rom zu verlassen. Papst Franziskus habe ihn in einer Privataudienz bereits am 19. Mai angewiesen, bis zum 1. Juli in sein deutsches Heimatbistum Freiburg zurückzukehren.
Gänswein galt lange Zeit als einer der einflussreichsten Deutschen im Vatikan und war in den vergangenen Wochen in deutschen Medien dauerpräsent. Auch deswegen sind an das idyllisch gelegene Kloster am Bochumer Stadtrand nicht nur rund 500 Gottesdienstteilnehmer sondern auch etliche Journalisten gepilgert. Schließlich handelt es sich um den ersten öffentlichen Auftritt des Kirchenmannes nach dieser Nachricht.
Bereits vor Beginn des Gottesdienstes zeichnet sich jedoch ab: Mit Medienvertretern wird der Erzbischof nicht reden wollen. Stattdessen sucht er das Gespräch mit den Messdienern, die unter anderem dazu auserkoren sind, bei Bedarf im Laufe der Zeremonie seine Mitra und seinen Bischofsstab zu halten. Der Bischofsstab müsse stets in eine bestimmte Richtung zeigen, erklärt Gänswein. „Das hat alles seine Bedeutung.“
Manches bekommt an diesem Tag unfreiwillig eine doppelte Bedeutung. In seiner kurzen Begrüßung zum Auftakt der Messfeier unter freiem Himmel mahnt der 66-Jährige zu Demut. „Uns feiern führt zum Verderben, Gott feiern führt zum Segen.“ Demütig hatte sich Gänswein zuletzt auch in seinen zahlreichen Interviews gegeben. „Ich musste mich ins Dienen hineinleben“, sagte Gänswein etwa der „Bunten“. Mit Blick auf die päpstlichen Vollmachten in der katholischen Kirche stellte er fest: „Ober sticht Unter. Ich habe das akzeptiert.“
Wie es tatsächlich in ihm nach der mutmaßlichen Entscheidung von Papst Franziskus ausschaut, behält er für sich. Nach dem Gottesdienst stellt sich eine Familie vor, deren jüngster Sohn Benedikt heißt. Ein schöner Name, wie Gänswein findet. Sein eigener beruflicher Weg bleibt weiter eng verknüpft mit dem einstigen Kirchenoberhaupt gleichen Namens. Mit Nachfolger Franziskus fremdelt er seit Jahren, wie aus der Lektüre seines unlängst veröffentlichten Erinnerungsbuches „Nichts als die Wahrheit“ hervorgeht. In dem Band schildert er die gute Zusammenarbeit mit Benedikt XVI., aber auch vereinzelte Spannungen zwischen dem Papst aus Deutschland und dessen Nachfolger Franziskus.
Unterdessen ist der Wandel in Kirche und Gesellschaft auch in Bochum-Stiepel zu besichtigen. „In den 1960er-Jahren kamen hier 15.000 Leute“, erzählt ein Mitglied des örtlichen Knappenvereins „Schlägel und Eisen“. Eine Art Familien- und Handwerkertreffen sei die Wallfahrt damals gewesen. Immerhin sind auch jetzt Abordnungen von Friseuren, Bäckern, Klempnern und Dachdeckern mit bunten Fahnen gekommen.
Die Schornsteinfeger-Innung verteilt Glücksbringer, kleine schwarzer Schornsteinfegerfiguren aus Plastik. Ob es auch für den Erzbischof etwas gibt? „Der kriegt auch einen.“ Ein Geschenk erhält Gänswein auf jeden Fall von den Eichsfeldern. Der in Eichsfelder Tracht gekleidete Edgar Pferner überreicht Gänswein ein Stück Mauer mit Stacheldraht, hinter der zu DDR-Zeiten das Eichsfeld lag. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ steht auf der daran angebrachten Plakette.
Vielleicht überspringt auch Gänswein sehr bald schon Mauern. Die des Vatikans. Ein weiterer öffentlicher Auftritt in Deutschland ist bereits avisiert: Am 15. August wird Gänswein zum Fest Mariä Himmelfahrt im Pilgerort Maria Vesperbild zwischen Augsburg und Ulm erwartet.