Nürnberg (buc) – Die örtliche Zeitung vermutete prompt einen Wahlkampfauftritt, als Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) jüngst nach Nürnberg kam, und so blieb es den
kirchlichen Medien vorbehalten, den hohen Besuch aus Berlin beim katholischen Weltladen „Fenster zur Welt“ und ein Publikumsgespräch zu begleiten, zu dem vor allem Fachleute aus der
Entwicklungspolitik gekommen waren. Ergebnis war eine spannende und thematisch vielfältige Diskussion, die eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen deutschen und europäischen Entwicklungspolitik
bot.
Dass es nicht die bayerische Landtagswahl am 8. Oktober ist, die Svenja Schulze nach Franken reisen ließ, machte die Bundesministerin, die ebenso wie ihr Amtsvorgänger Gerd Müller (CSU) über
Parteigrenzen hinweg für ihre Fachkompetenz ebenso geschätzt wird wie für ihr zupackendes und herzerfrischendes Wesen, gleich zu Beginn der Gesprächsrunde zum Thema „Entwicklung gestalten“
deutlich. In ihrem Amt sei sie „die Stimme der Partnerländer“, betont Schulze – was eine parteipolitische Vereinnahmung oder Verengung kaum zulässt.
Schwerpunkt Klimaschutz
Als einen der Schwerpunkte deutscher Entwicklungspolitik beschreibt die Ministerin den Klimaschutz. Während die Angst vor einem möglichen Kollaps des Planeten hierzulande noch eher abstrakt ist,
ist der Klimawandel andernorts bereits Realität, wie Schulze berichtet: „In Afrika sind die Folgen der Erderhitzung schon jetzt deutlich zu spüren.“ Deshalb geht es ihr darum, beide Themen
miteinander zu verknüpfen, etwa die Staaten des sogenannten globalen Südens – ein Begriff, den sie im übrigen nicht sonderlich schätzt – zu animieren, auf Kohle zu verzichten, die Stromversorgung
möglichst mit erneuerbaren Energien zu sichern. Kenia etwa sei kurz davor, mehr Erneuerbare zu produzieren, als das westafrikanische Land selbst benötigt.
Schulze widerspricht zugleich dem gängigen Vorurteil, der „Westen“ versuche, mittels Entwicklungspolitik weltweit seine eigenen Werte durchzusetzen, anstatt knallhart seine Interessen zu
vertreten. „Ja, wir haben Werte“, so Schulze. „Aber dass Mädchen in die Schule gehen sollen, das sind auch die Werte der Afrikanischen Union.“ Für die Ministerin geht es darum, gute Angebote zu
machen. „Die besseren Angebote“, sagt sie mit Blick auf die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), die sich als politisch-wirtschaftliche Gegengewicht zum „Westen“
verstehen und just am Tag von Schulzes Frankenbesuch eine Vergrößerung um weitere sechs Staaten ankündigten, davon die wenigsten freiheitlich-demokratisch orientiert.
Dass Europa und die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit entwicklungspolitisch nicht alles richtig gemacht haben, räumt die Ministerin unumwunden ein. Die Beziehungen etwa zu Afrika leiden
noch heute unter den Nachwirkungen der Coronazeit und dem damaligen westlichen Impfstoff-Egoismus. Umso wichtiger ist nun eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“, wie sie auch Gabriela Heinrich
betont, Nürnberger Bundestagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Sie hatte Schulze nach Nürnberg eingeladen und moderiert die Gesprächsrunde, bei der auch die aktuellen
Entwicklungen in Mali oder im Niger thematisiert werden, wo es jüngst einen Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung gab.
Katholische Hilfswerke wie Misereor, Missio, Adveniat, die Sternsinger und auch das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis, das viele Projekte im Kriegsland Ukraine angestoßen hat, spielen in der
deutschen Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle. Das betont Inge Rehm, Leiterin des „Fensters zur Welt“, und wird darin von Schulze bestärkt. Bei der Verteilung der staatlichen Gelder würden
die Werke weiterhin nicht an Vorgaben gebunden, verspricht die Ministerin. Sie räumt indes ein, dass es durch die Sparvorgaben der Regierung auch Kürzungen im Entwicklungshaushalt geben werde.
„Wir haben aber immer noch sehr viel Geld“, sagt Svenja Schulze.
Sie erläutert auch, was sie unter „feministischer Entwicklungspolitik“ versteht, ein Begriff, für den sie viel gescholten wurde. Es gehe darum, darauf zu achten, dass es gleiche Rechte,
Ressourcen und Repräsentanz von Frauen gebe, betont die Ministerin. In Uganda hätten Frauen schon vor 100 Jahren erfolgreich dafür gestritten, keine höhere Marktsteuer als die Männer zahlen zu
müssen. „Veränderungen gehen am schnellsten bei Projekten mit Frauen“, sagt in der Diskussion ein kirchlicher Entwicklungsaktivist, der seit vielen Jahren in Kenia tätig ist.