Sulzbach-Rosenberg (KNA) – "Es lohnt sich auf jeden Fall, mit dem Brennglas auf diese Region zu gucken", sagt die Paderborner Kulturwissenschaftlerin Eva-Maria Seng. Blick auf die Region bedeutet in diesem Fall zugleich Blick in die Geschichte. Das "Sulzbacher Simultaneum" war nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) ein großangelegter Versuch, das Land zu befrieden und die zerstrittenen Konfessionen zusammenzuführen. Ein mehrtägiges Symposium ging in Sulzbach-Rosenberg Mitte September der Frage nach, was sich daraus für das Miteinander der Kirchen lernen lässt.
Pfalzgraf Christian August von Sulzbach verordnete im Jahr 1652 die gemeinsame Nutzung kirchlicher Einrichtungen durch Protestanten und Katholiken. Damit war er nicht der Erste auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, aber sicherlich einer der Radikalsten. Nicht nur Kirchen, auch Friedhöfe, Schulen, Pfarrhäuser wurden geteilt.
"Christian August richtete eine Art Trainingslager des interkonfessionellen und interkulturellen Dialogs ein", sagt Markus Lommer, Stadtheimatpfleger in Sulzbach-Rosenberg und Kirchenhistoriker. Freilich sei dem Pfalzgrafen klar gewesen, dass er eine Einheit der Christen nicht von heute auf morgen verordnen könne. "Doch um darauf hinzuarbeiten und das Verbindende wachsen zu lassen, sah er es als zielführend an, im Alltag einander zu begegnen", so Lommer.
Reibereien blieben dabei in den 49 Simultankirchen im Herzogtum nicht aus. Eine der bizarrsten Begebenheiten spielte sich in der Pfarrkirche Sulzbach ab: Zwei konfessionsverschiedene Schlösser am Taufstein machten es für 100 Jahre unmöglich, in der Simultankirche Taufen zu feiern. "Natürlich haben sich solche Konflikte in den Quellen immer intensiver niedergeschlagen als unspektakuläre Alltagskultur", betont Lommer.
Doch Nutzungskonflikte und auch das Anwachsen der Bevölkerung ließen die Bestrebungen in den Konfessionen nach einer eigenen Kirche im Laufe der Zeit wachsen. 1899 wurden erste Verträge über die Auflösung des Simultaneums geschlossen, bis Ende der 1960er Jahre war dieser Prozess abgeschlossen. Übrig geblieben sind bis heute in der Region neun Simultankirchen.
Können sie ein Modell für ein neues Miteinander sein angesichts sinkender Mitgliederzahlen in beiden großen Kirchen und drohender Leerstände von Gotteshäusern? Kulturwissenschaftlerin Seng ist vorsichtig mit einfachen Antworten: "Fakt ist: Katholiken und Protestanten haben ein institutionelles Problem. Bei der Lösung an historische Erfahrungen anzuknüpfen, ist legitim." Sie plädiert dafür, über mögliche Formen des Miteinanders aktiv nachzudenken.
"Einfach abzuwarten und zu schauen, bis man zum kurzfristigen Handeln gezwungen wird, bringt nichts", sagt sie und plädiert für jede Menge Pragmatismus. Trotz aller Krisen sieht Seng weder ein Ende der Religionen noch sakraler Räume bevorstehen. Die Wissenschaftlerin verweist auch auf neue multireligiöse Projekte der Begegnung wie das "House of One" in Berlin, wo Juden, Christen und Muslime gemeinsam an einem Haus bauen. Unter seinem Dach werden sich einmal eine Moschee, eine Synagoge und eine Kirche befinden.
Für Markus Lommer steht außer Frage, dass man aus der Geschichte des "Sulzbacher Simultaneums" lernen könne und müsse. Auch wenn es kein "Allheilmittel" für die gegenwärtigen Herausforderungen sei. In der Ökumene brauche es individuelle, maßgeschneiderte Lösungen. Die Simultankirchen im Sulzbacher Land sieht er als ein "fortschrittliches Experiment". Nicht ohne Grund seien sie heute ein Oberpfälzer Kulturerbe.
Am Erinnern wird vor Ort intensiv gearbeitet: Dazu hat sich vor zehn Jahren der Förderverein Simultankirchen in der Oberpfalz gegründet. Ein Meilenstein ist der Simultankirchen-Radweg, der auf rund 400 Kilometern und in zehn verschiedenen Touren mit einer Länge von 25 bis 45 Kilometern die knapp 50 Gotteshäuser miteinander verbindet.
Von Holger Stiegler