Bonn (KNA) – Queere Menschen haben aus Sicht des Mainzer Theologen Thomas Hieke auch ihren Platz im christlichen Menschenbild. Einen Ausschluss geschlechtlicher Vielfalt auf Grund der Angabe von "Mann und Frau" in der biblischen Schöpfungsgeschichte lehne er ab, sagte der Alttestamentler im Interview dem Portal katholisch.de (Mittwoch). Mit dem englischen Wort queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren geschlechtliche Identität nicht mit gesellschaftlichen Rollenbildern übereinstimmt. Unter ihnen sind Personen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung die wohl größte Gruppe.
"Im Schöpfungsbericht finden wir an dieser Stelle keine Binarität, sondern eine Bipolarität. Es gibt zwei Pole: das Männliche und das Weibliche. Und jeder Mensch muss sich zwischen diesen beiden Polen finden", erklärte Hieke. "Jeder Mann erfährt in sich auch weibliche Anteile. Jede Frau erfährt in sich auch männliche Anteile. Das sind Selbstwahrnehmungen, die wir ernst nehmen müssen."
Hieke nahm Bezug auf eine Äußerung des Papstbotschafters in Deutschland, Nikola Eterovic, bei der aktuell stattfindenden Herbstvollversammlung der Bischöfe in Wiesbaden. Eterovic hatte am Montagabend Bedauern darüber bekundet, dass das biblische Bild von Mann und Frau "inzwischen auch in manchen Kreisen der Kirche in Vergessenheit geraten" sei. Dagegen setze sich ein abweichendes und teils gegenteiliges Bild vom Menschen und seinem Wesen durch.
Der Mainzer Theologe warnte davor, die Bibel in diesen Aussagen zu dogmatisieren, "sonst wäre die Bibel ein toter Text". Stattdessen werde in der Schöpfungsgeschichte etwa Vielfalt durch jeweils zwei gegensätzliche Begriffe ausgedrückt. "Es gibt das Licht und das Dunkel, den Tag und die Nacht. Aber auf Grundlage des Textes würde doch niemand in Frage stellen, dass es Abenddämmerung und Morgengrauen und Zwielicht gibt", so Hieke.
Die Kirche dürfe human- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse nicht ignorieren und müsse lernen, queeren Menschen "offen gegenüber zu stehen und zu akzeptieren, wie er oder sie Teil dieser Schöpfung ist", betonte der Theologe. Es brauche in dieser Hinsicht eine ähnliche Entwicklung, wie sie bei Ausgrenzungen auf Grund von Hautfarbe oder Religion bereits im Gange sei. "Jemandem zu sagen: Du bist nicht in Ordnung, weil du mit deiner geschlechtlichen Identität nicht in mein Schema passt, ist aus meiner Sicht menschenverachtend."