Oswiecim (KNA) – Es ist ein strahlender Herbsttag in Oswiecim. Ein tiefblauer Himmel über dem früheren Konzentrationslager Auschwitz, dem heutigen Gedenk- und Erinnerungsort. Rot leuchten die Rosen am Kranz, den Kolbe-Werk-Geschäftsführer Christoph Kulessa zur
Erinnerung an die Opfer niederlegt.
Ihn begleiten 30 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus Polen und Deutschland. Viele von ihnen haben selbst den Holocaust überlebt, jetzt gehen sie langsam zu dem Ort, an dem die Nationalsozialisten Tausende Unschuldige erschossen haben - zur Todeswand. An diesem Morgen wollen sie den vom NS-Regime Ermordeten ihren Respekt erweisen.
Am jährlichen Gedenken des Kolbe-Werks beteiligten sich schon mal mehr. "Viele sind wir nicht mehr", sagt die 1929 geborene Maria Urbas. Nach dem Tod ihres Mannes, der auch als Zeitzeuge in Schulen gesprochen hat, fühlt sich die zierliche Dame verpflichtet, seine Arbeit fortzusetzen: "Wir müssen den jungen Generationen weiter von unseren Erfahrungen erzählen, damit so etwas nie wieder passiert." Sonst bliebe nicht nur das Engagement ihres Mannes für Frieden und Versöhnung unvollendet.
Und Jadwiga Galazka fügt an: "Die jetzige Generation hat keine Schuld." Sie selbst wurde im Ghetto von Pinczow geboren, ihre Eltern starben, bevor sie sie kennenlernen konnte. "Aber trotzdem kann ich nicht in Hass leben", beschreibt sie lächelnd ihre Motivation, sich für das Kolbe-Werk zu engagieren.
Die von Katholikinnen und Katholiken 1973 gegründete Hilfsorganisation besteht jetzt seit genau 50 Jahren. Das Ziel war und ist es, nach den Verbrechen des Kriegs neue Brücken der Versöhnung zu bauen. Zunächst lag ein Schwerpunkt auf Hilfen in Polen, dann weitete sich die Unterstützung auf weitere Länder Mittel- und Osteuropas aus. Zuletzt intensivierte das Werk Hilfen in der Ukraine.
Bei einem Festakt am 19. Oktober in Berlin blicken die Verantwortlichen zurück und ziehen Bilanz. Gleichzeitig steht die Organisation vor Richtungsentscheidungen. Denn schon bald werden die letzten Zeitzeugen sterben. Noch unterstützt die Hilfsorganisation jährlich rund 5.000 hochbetagte NS-Überlebende. Aber wann und wie sollen die finanziellen Hilfen enden? Wie können Projekte der Erinnerungsarbeit weitergehen? Und lassen sich die Erfahrungen auf andere Felder der Versöhnungsarbeit übertragen? "Unsere wichtigste Aufgabe ist es, den Überlebenden des NS-Terrors solange zu helfen, wie sie am Leben sind. Diese Zusage werden wir einhalten", sagt der Präsident des Kolbe-Werks, der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Weiß.
Gleichzeitig laufen seit längerem die Planungen für die Zukunft nach einem Ende der Überlebenden-Hilfen. 2007 gründete die Mitgliederversammlung des Kolbe-Werks die Kolbe-Stiftung. Grundstock waren rund 1,4 Millionen Euro Kirchenmittel aus einem nicht vollständig aufgebrauchten Zwangsarbeiter-Hilfsfonds. Zuschüsse kamen auch von der Polnischen Bischofskonferenz.
So sollte klar werden, dass die Stiftung bereit steht, das Erbe der Versöhnungsarbeit in anderer Weise fortzuführen. Etwa durch Versöhnungstreffen auf dem Balkan und gemeinsame Seminare für Militärangehörige aus Frankreich, Deutschland und Polen. Nach jetzigem Planungsstand wollen Stiftung und Werk ab 2026 eine gemeinsame Geschäftsstelle in Berlin aufbauen. Von Stiftungsseite heißt es: "Die Perspektive ist eindeutig. Die Stiftung ist die Zukunft."
Aktuell aber gehen die Hilfen für die Überlebenden weiter. Kolbe-Werk-Geschäftsführer Kulessa geht davon aus, dass heute in Mittel- und Osteuropa noch 12.000 NS-Verfolgte leben. "Knapp die Hälfte erreichen wir." Bald werden die letzten der hochbetagten Überlebenden sterben. "Aber noch sind sie da - und noch sind wir da. Das ist unser Versprechen."