· 

Vernunft und Glaube gebieten schnelles Handeln

Sebastian Zink ist Umweltreferent des Erzbistums Bamberg. Foto: Andreas Kuschbert
Sebastian Zink ist Umweltreferent des Erzbistums Bamberg. Foto: Andreas Kuschbert

Bamberg  – Mitten im Sommer 2023 wurde es für umweltengagierte Christinnen und Christen plötzlich spannend: Papst Franziskus kündigte überraschend für den 4. Oktober, den Gedenktag des Hl. Franz von Assisi, eine Fortsetzung der 2015 erschienenen Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato si´ an. Der Text selbst, überschrieben mit „Laudate Deum“ (Lobt Gott), war dann doch wesentlich kürzer und in Form eines Apostolischen Mahnschreibens gehalten. Daher ist er eher als Aktualisierung der Enzyklika zu verstehen, der zu einer (erneuten) Lektüre unter veränderten Vorzeichen anregen möchte. 

 

 „Strukturelle Sünde“

 

Zentraler Anlass des Schreibens ist das viel zu langsame Vorankommen der Weltgemeinschaft beim Kampf gegen die „Klimakrise“. Bewusst spricht Franziskus hier von einer Krise, nicht nur vom Wandel des Klimas. Die internationalen Klimakonferenzen der letzten Jahre hätten kaum substanzielle Fortschritte gebracht und das, obwohl die Anzeichen für den Klimawandel immer klarer erkennbar werden. 

 

Wesentlich deutlicher als noch 2015 weist Franziskus dabei Versuche zurück, den menschengemachten Klimawandel zu relativieren, und sieht sich gezwungen entsprechende „Klarstellungen … aufgrund bestimmter abschätziger und wenig vernünftiger Meinungen vorzunehmen“, die es selbst innerhalb der Kirche gebe. 

 

Aus dem Blick gerate dabei gerne, dass die Auswirkungen des Klimawandels zuerst zu Lasten der Armen und der am meisten gefährdeten Menschen gehen. Es handelt sich also auch um ein „globales soziales Problem“ oder, wie es die afrikanischen Bischöfe 2022 in Anlehnung an eine Formulierung Johannes Pauls II. ausgedrückt haben, um „ein schockierendes Beispiel für eine strukturelle Sünde“ – eine Sünde also, die nicht auf das Handeln eines einzelnen zurückzuführen ist, sondern auf gesellschaftliche Strukturen, deren Ausgestaltung nicht dem Wohl aller, sondern dem Vorteil weniger dienen. 

 

Vor diesem Hintergrund nimmt Papst Franziskus auch so genannte radikalisierte Gruppen von Klimaschützern in Schutz, die eine Lücke füllen, die die Gesellschaft als Ganze fahrlässig offenlasse. 

 

Grundübel

 

Die tieferliegenden Gründe für das aktuelle Versagen der Menschheit, für das Ausbleiben effizienter und ausreichender Maßnahmen gegen den Klimawandel, sieht der Papst in einem Phänomen, das er mit dem etwas sperrigen Begriff des „technokratischen Paradigmas“ umschreibt. Diesem hatte er schon in Laudato si´ als „menschlicher Wurzel der ökologischen Krise“ ein ganzes Kapitel gewidmet. 

 

Gemeint sind damit machtförmige Gedankenmuster und übersteigerte Machbarkeitsphantasien mit Blick auf die menschlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten, für jedes Problem eine technologische Lösung liefern zu können. Dieses verquere Menschenbild ist für den Papst zutiefst mit einem kapitalistisch organisierten Wirtschaftssystem verbunden: „Die Logik des maximalen Profits zu den niedrigsten Kosten, verschleiert als Rationalität, als Fortschritt und durch illusorische Versprechen, macht jede aufrichte Sorge um das gemeinsame Haus und jede Sorge um die Förderung der Ausgestoßenen der Gesellschaft unmöglich.“ 

 

Der Papst begründet hier seine schon häufig geäußerte und tief sitzende Kapitalismusskepsis mit dem Fehlen eines angemessenen ethischen Kompasses, der in der Tradition der christlichen Soziallehre als erstes das gemeinsame Wohl aller gegenwärtig und zukünftig lebender Menschen in den Blick nimmt, statt einer egoistischen Machtlogik, einem „ich zuerst“ verpflichtet zu sein. 

 

Mensch als Teil der Natur

 

In einer Epoche, die von vielen als Anthropozän bezeichnet wird, also als Erdzeitalter, in dem der Mensch zentraler Faktor aller Prozesse auf unserem Planeten geworden ist, benennt der Papst klar die daraus erwachsende ethische Frage: „Wir müssen alle gemeinsam die Frage nach der menschlichen Macht, nach ihrem Sinn und nach ihren Grenzen neu bedenken“. Da wir trotz des besonderen Werts des Menschen in der jüdisch-christlichen Glaubenstradition anerkennen müssen, „dass das menschliche Leben ohne andere Lebewesen nicht verstanden und nicht aufrechterhalten werden kann“, müssen wir den Menschen als Teil der Natur betrachten, nicht als außenstehenden, von seiner Umwelt losgelösten Faktor. 

 

Wie schwierig uns ein solches Denken fällt, zeigt interessanterweise der Papst selbst, dessen Blick bei genauerer Betrachtung auch in Laudate Deum sehr anthropozentrisch bleibt, also vom Menschen ausgeht, und der Sorge um die menschlichen Armen deutlich mehr Ausdruck verleihen kann als der Sorge um die nichtmenschlichen Armen. Die Haltung der Geschwisterlichkeit zu allen Kreaturen, die Franz von Assisi versucht hat zu leben, Fragen des Tierwohls und des Erhalts der Artenvielfalt, die sich aus einem Verständnis der Umwelt als Mitschöpfung zwingend ergeben, sind bei Papst Franziskus (und letztlich auch in der Theologie insgesamt) in ihren konkreten Konsequenzen noch nicht ganz angekommen und finden nur am Rande Erwähnung.

 

Mahnung an die Politik

 

Zentraler Adressat des päpstlichen Mahnschreibens ist die Politik, insbesondere die Politik der internationalen Beziehungen. Als Verfechter des Multilateralismus leidet der Papst sehr daran, dass internationale Klimaziele regelmäßig daran scheitern, dass „nationale Interessen über das globale Gemeinwohl“ gesetzt werden. Er fordert deshalb einen neuen Rahmen für eine effektivere Zusammenarbeit mit einer realen Autorität sowie effektivere Entscheidungsprozesse. 

 

So richtig die Analyse von Papst Franziskus hier ist – insgesamt scheint der Fokus auf die internationalen Beziehungen in Laudate Deum doch etwas stark ausgefallen zu sein. Maßnahmen gegen den Klimawandel müssen auf vielen verschiedenen Ebenen ergriffen werden, die internationale Ebene ist mit Blick auf konkrete Maßnahmen eine eher schwache. Veränderte Rahmenbedingungen, die dies ändern können, sind realistisch auf längere Sicht nicht zu erwarten. 

 

Fehlender Innenblick

 

Die Mahnungen des Papstes müssen allerdings ebenfalls und in besonderer Weise für die Kirche selbst gelten. Dieses Feld der institutionellen Verantwortung spricht Franziskus leider nicht an. Ein mahnender Appell an Politik und Gesellschaft kann letztlich aber nur Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit entfalten, wenn auch das eigene kirchliche Handeln dem Geforderten entspricht. 

 

Das Schreiben des Papstes zeigt, dass die Kirche auf der Grundlage des christlichen Glaubens, aufgrund ihrer weltumspannenden Organisation und ihrer Größe ein ganz wichtiger Player an der Seite der Klimabewegung sein kann. Sie muss dazu aber jetzt auch selbst rasch, konsequent und mutig handeln.