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"Heiliger Vater, helfen Sie uns!"

Hubert Wolf bei der Vorstellung des Projekts in Nürnberg.Foto: Bernd Buchner
Hubert Wolf bei der Vorstellung des Projekts in Nürnberg.Foto: Bernd Buchner

Nürnberg (buc) – Bemerken muss ich, daß ich Jude bin, also keine Berechtigung habe, bei Eurer Heiligkeit anzuklopfen.“ In aller Bescheidenheit bittet Franz Brinnitzer im Jahr 1942 Papst Pius XII. um Hilfe – Franz und seine Frau Meta, vor den Nationalsozialisten von Berlin nach Rom geflüchtet, wollen weiter zu ihrem Sohn Heinz, der es bereits nach Haifa im damals britischen Mandatsgebiet Palästina geschafft hat.

 

Franz Brinnitzer wurde am 5. Dezember 1879 in Breslau geboren, seine Frau kam als Meta Priester am 15. Juni 1884 in einem sächsischen Dorf zur Welt. In dem Brief an den Papst erzählt der Familienvater in bewegenden Worten vom Schicksal der Seinen, zeichnet einen Lebensweg nach, der geprägt ist von den Wirrnissen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die mit dem brutalen Massenmord an den Juden Europas im Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt finden.

 

Fund im Fall Brinnitzer

 

Wie reagierte der Vatikan auf derlei Schreiben? Das versucht ein Team um den Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf gerade im groß angelegten Forschungsprojekt „Asking the Pope for Help“ (Den Papst um Hilfe bitten) herauszubekommen. Im Fall Brinnitzer sind die Wissenschaftler bereits fündig geworden. Sie stießen in den Akten auf einen handschriftlichen Vermerk: „ExAud SSmi 24.9.42 L500,- (f. profughi) GMB“.

 

Die kryptisch klingende Notiz lässt sich entschlüsseln: Das lateinische „ExAud SSmi“ weist auf eine Audienz bei seiner Heiligkeit des Papstes vom 24. September 1942 mit dem Ergebnis, dass die Brinnitzers 500 Lira aus dem vatikanischen Flüchtlingsfonds („f. profughi“) erhalten. Mit dem Geld, umgerechnet 40 US-Dollar, konnte man damals in Rom immerhin einen Monat überleben. 

 

Der Unterzeichner „GMB“ ist Giovanni Battista Montini (1897-1978), enger Mitarbeiter von Pius XII. und später als Paul VI. selbst Papst. Montini arbeitete damals im Staatssekretariat, leitete ab 1944 die Päpstliche Hilfskommission für Flüchtlinge. Für die Brinnitzers fragte der versierte Kirchendiplomat offenbar den britischen Botschafter beim Heiligen Stuhl nach einer Schiffspassage, dieser jedoch lehnte ab, wie in vielen anderen Fällen – auf den Papieren steht dann die schlichte Abkürzung „NDF“, niente da fare (nichts zu machen).

 

Rund 15 000 Bittschreiben haben die Forscher bereits gefunden, es sind vermutlich noch viel mehr. Ziel des Projekts ist es, wie Hubert Wolf jüngst bei einem Vortragsabend in Nürnberg erläuterte, alle Schicksale jüdischer Menschen in den vatikanischen Quellen zu erfassen und der Forschung in einer digitalen Form zugänglich zu machen. Die Ergebnisse könnten nach Wolfs Worten auch in Social-Media-Formaten dargestellt für die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus verwendet werden.

 

„Wir wollen alle Fälle jüdischer Bittsteller erheben. Alle“, sagt der Kirchenhistoriker. Die Briefe sind zum großen Teil von den verfolgten Menschen selbst geschrieben, aber auch von Verwandten und Freunden, von Bischöfen oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten. Rund 40 Prozent der Schreiben sind auf Italienisch abgefasst, viele weitere in Deutsch, Englisch, Französisch, Ungarisch oder Jiddisch.

 

Wie reagierte der Vatikan auf die Schreiben? „Das können wir noch nicht sagen“, so Hubert Wolf. Die Arbeit steht erst am Anfang. Der Kirchenhistoriker und seine Helfer begannen just an jenem 2. März 2020, an dem der Vatikan seine Archive für die Forschung öffnete. Ein Ende ist nicht absehbar. „Das ist wie Troja ausgraben“, sagt Wolf. Die Archive seien „all‘italiano“ sortiert, „mit einer gewissen Grandezza“. Der Vorteil: „Sie können gar nichts verstecken, weil sie gar nicht wissen, was sie haben.“

 

In den Akten, das lässt sich jetzt schon sagen, werden außerordentlich viele Facetten deutlich. Die Forscher wollen die Perspektive von Papst Pius XII. hin zum gesamten vatikanischen Apparat öffnen. Persönlichkeiten gewinnen Konturen, etwa der päpstliche Geheimsekretär Robert Leiber oder ein weiterer Jesuitenpater, Pietro Tacchi Venturi, Mussolinis Beichtvater. Der Christdemokrat Aldo Moro, später italienischer Ministerpräsident, hat sich energisch für Flüchtlinge eingesetzt, Thomas Manns Schwager Peter Pringsheim bat bei der Nuntiatur in Dublin um Hilfe.

 

Die Nationalsozialisten wollten die Erinnerung auslöschen, auch die an die Brinnitzers. Wie ging es mit ihnen weiter? Einer Deportation aus Rom im Oktober 1943 entgingen sie noch. Doch die Forscher fanden den Hinweis, dass das Ehepaar 1944 in Florenz von der Gestapo verhaftet und vom Durchgangslager Fossoli bei Modena mit dem „Zug Nr. 13“ am 20. Juni 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Zehn Tage später kamen Franz und Meta Brinnitzer, 64 und 60 Jahre alt, dort an. Sie wurden für arbeitsunfähig erklärt und noch am gleichen Tag ermordet.