Vatikanstadt (KNA) – Der älteste deutsche Kurienkardinal ist in mancherlei Hinsicht ein Spätberufener. Als Sohn eines katholischen Vaters und einer evangelischen Mutter im fränkischen Ansbach noch in der Weimarer Republik geboren, tritt er als junger Mann zur katholischen Kirche über. Er studiert katholische Theologie und wird 1953 in Bamberg zum Priester geweiht. Den weichen fränkischen Tonfall hat er zeitlebens ebenso behalten wie die Vorliebe für edle Weißweine seiner Heimat.
Erst während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) schlägt er eine wissenschaftliche Laufbahn ein und wird 1971 Professor für Kirchengeschichte. Es war vermutlich kein Zufall, dass seine wissenschaftliche Karriere in die Ära der Umwälzungen in der katholischen Kirche fiel, die sich mit dem großen Reformkonzil drastisch beschleunigten.
Brandmüllers Spezialgebiet wurden die Konzilien des späten Mittelalters. Die großen Kirchenversammlungen von Konstanz (1414-1418) und von Basel (1431-1449) hat er genauestens untersucht. Die dort propagierte Theorie des Konziliarismus, die Konzilien mit ihren Mehrheitsbeschlüssen über den Papst stellen wollte, hat er nicht nur aus historischer Sicht aufs Korn genommen. Er hält sie auch heute noch für gefährlich.
Unter den Wortführern der erzkonservativen Opposition gegen die Reformen des Zweiten Vatikanums sucht man den Namen Brandmüller dennoch vergebens. Auch da schlug seine Stunde erst viel später. Es begann damit, dass er im Rentenalter noch eine römische Karriere startete.
1998 berief Johannes Paul II. den damals 69 Jahre alten Professor zum Präsidenten des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften. Der polnische Papst schätzte deutsche Theologen und brauchte den konservativen Brandmüller zur Absicherung eines gewagten kirchenhistorischen Schritts im Jahr 2000.
Es ging um die große Vergebungsbitte der Kirche zu Beginn der Fastenzeit des Jahres 2000. Damals bekannte Johannes Paul II. die Schuld der katholischen Christen an schweren historischen Vergehen in der Kirchengeschichte - von der Ketzerverfolgung über den Rassismus bis zur Unterdrückung von Frauen - öffentlich und bat Gott um Vergebung. Brandmüller und sein Landsmann Joseph Ratzinger sollten dafür sorgen, dass die Worte kirchenhistorisch und theologisch korrekt formuliert waren.
Brandmüller blieb bis 2009 "Chefhistoriker" des Vatikans. Zugleich gehörte er weiter dem Domkapitel des Petersdoms an - woraus auch sein Wohnrecht in einer der "Kanoniker-Wohnungen" im Schatten des Petersdoms resultierte. Zum Kardinal ernannt wurde er erst im Jahr 2010, mit bereits 81 Jahren, durch Benedikt XVI.
Dessen Rücktritt kritisierte er scharf - auch weil er als Kirchenhistoriker um die Gefahr kirchenspalterischer Tendenzen wusste, die eine "Koexistenz von zwei Päpsten" fast zwangsläufig mit sich bringt. Beim Konklave, das im März 2013 den argentinischen Kardinal Bergoglio zum Papst wählte, war Brandmüller aus Altersgründen nicht stimmberechtigt. Doch er versuchte im Vorfeld das noch in seiner Macht stehende, um eine aus seiner Sicht allzu riskante Wahlentscheidung zu verhindern.
Im Franziskus-Pontifikat ist der geistig hellwache und bisweilen scharfzüngige Historiker seit fast elf Jahren einer der kritischsten Begleiter des Papstes aus Buenos Aires. An beiden "Dubia-Anfragen", mit denen konservative Kardinäle versuchten, den aus ihrer Sicht riskanten theologischen und kirchenrechtlichen Öffnungskurs von Papst Franziskus zu korrigieren, war Brandmüller als Unterzeichner beteiligt.
Ebenso engagierte er sich für die "Alte Messe" und ihre Anhänger. Dass er hingegen stürmische kirchliche Reform-Versammlungen wie die Amazonas-Synode im Vatikan oder den Synodalen Weg in Deutschland scharf kritisierte, überrascht wenig.
Anders als einige konservative Kritiker aus den USA wie Kardinal Raymond Burke oder Bischof Joseph Strickland ist Brandmüller bislang nicht zum Objekt päpstlicher Maßregelungen geworden. Zuletzt beförderte Franziskus ihn im Jahr 2021 in den protokollarisch sehr hohen Rang eines "Kardinalpriesters".