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Den Menschen wieder ins Handeln bringen

Am Logo sind Notfallseelsorger im Einsatz zu erkennen. Foto: Marcus Brandt / dpa / Pool / KNA-Bild
Am Logo sind Notfallseelsorger im Einsatz zu erkennen. Foto: Marcus Brandt / dpa / Pool / KNA-Bild

Pinzberg (bp) – Man weiß nie, was einen erwartet“, sagt Pfarrer Michael Gehret. „Aber es ist Seelsorge im allerengsten Sinn. Ein Punkt wo wir gefragt sind“. Als Seelsorger. Als Kirche. Die Notfallseelsorge ist für den Pfarrer von Pinzberg und Wiesenthau mit den Filialgemeinden Dobenreuth, Gosberg und Schlaifhausen ein ganz wichtiger Dienst. 

 

Wenn die Rettungsstelle – informiert vom Einsatzleiter der Polizei oder Feuerwehr – einen Notfallseelsorger anfordert, werden oft nur knappe Informationen weitergegeben. Ob die Menschen dann tatsächlich einen Seelsorger brauchen oder möchten, was man am Unfallort zu sehen bekommt, all das erfährt der Seelsorger erst vor Ort. Die Heftigkeit der Situation werde erst da deutlich. Zum Beispiel an einem hohen Feiertag, als der Geistliche nach einem anstrengenden Tag mit mehreren Andachten nachts zu einem Suizid gerufen wurde. Ein Mann hatte sich auf dem Dachstuhl aufgehängt. Situationen, in denen es Fingerspitzengefühl brauche. Und Wissen, etwa um psychische Erkrankungen, die zum Beispiel einem Suizid vorausgingen. Wissen das nötig sei, um den Angehörigen verständnisvoll zu begegnen. 

 

Eine Woche lang behalten die Seelsorger den Notfallrucksack mit Piper, Handy und weiteren Materialien bevor sie ihn an den nächsten Diensthabenden weiterreichen. Ob Wochen ohne Einsatz oder Wochen mit zwei, drei Einsätzen: es sei eine 24 / 7 Woche, wie Pfarrer Gehret berichtet. Zumeist sind es nächtliche Einsätze. Denn solange Pfarrbüros geöffnet sind, würden zunächst die Seelsorger vor Ort informiert. So ist es zumindest im Landkreis Forchheim geregelt. Ganz anders ist dies in anderen Landkreisen organisiert, wie der Diözesanbeauftragte der Notfallseelsorge Wolfgang Janus erklärt. 

 

Da gebe es Landkreise mit reinen Tag-Schichten von 5 bis 18 Uhr wie etwa in Stadt und Landkreis Bamberg, oder ein Schichtsystem wie in Nürnberg mit Diensten von 8 bist 14 Uhr, 14 bis 20 Uhr und von 20 bis 8 Uhr. Dazu sollte es zusätzlich Hintergrunddienste geben, die im Bedarfsfall – etwa bei einem weiteren Einsatz – einspringen könnten. „Die Notfallseelsorge ist nichts, das man neben her machen kann“, betont Janus. Doch oft laufe es leider genau so. Das Problem sei die Rufbereitschaft, da liege das Handy immer daneben, sieben Tage die Woche. Auch Pfarrer Michael Gehret beklagt die Rahmenbedingungen in seinem Landkreis – auch wenn er sich den wöchentlichen Dienst oft mit einem Seelsorger aus dem Pastoralteam teile. 

 

Es seien Tage, in denen manpermanent angespannt sei, da man nicht wisse, was auf einen zukommt. Eine Woche, in der man immer mit halb offenem Ohr schlafe. „Ein wertvoller Dienst – on topp zum laufenden Betrieb“, sagt Gehret. Das könne dann auch mal bedeuten, dass man früh um vier Uhr vom Einsatz nach Hause kommt und um 8 Uhr Unterricht habe, Verantwortung für Schülerinnen und Schüler. 

 

Gedacht sei das allerdings nicht so, betont der Diözesanbeauftragte Janus und verweist auf die aktuellen diözesanen Leitlinien. „Ich hätte gern in jedem Seelsorgebereich-Team eine Person, die ein entsprechendes Stundenkontingent dafür frei hat und dann in dieser Woche keine Beerdigungen oder keinen Schuldienst hat. Das muss dann das Team übernehmen.“ Deshalb fordert Janus: „Wir brauchen in der Diözese für unsere Leute Stundenkontingente“. Auch sollte es Dekanatsbeauftragte geben, die die Notfallseelsorger und Notfallseelsorgerinnen immer wieder zum Austausch zusammenrufen. Die Bistümer Augsburg und München beispielsweise würden ihre Notfallseelsorge massiv ausbauen, „weil die Kirche merkt, dass die Notfallseelsorge in der Bevölkerung hoch angesehen ist“.

 

Wenn man schließlich nach drei, vier Stunden Einsatz nach Hause komme, wenn das Einsatzprotokoll geschrieben ist, wer hilft einem, die Eindrücke zu verarbeiten, fragt Pfarrer Gehret. Dem Seelsorger fehle vor allem ein Dienstausgleich, statt – on topp – weiter zu machen im aktuellen Tagesgeschäft. Das gelte vor allem nach Nachteinsätzen und die Folgen für den normalen Arbeitsalltag. Auch würden sich die Einsatzpläne nur zögerlich füllen und solange per Mail im Team herum geschickt werden, bis der Druck immer größer werde. Der Pfarrer wünsche sich da mehr Unterstützung seitens der Bistumsleitung. Statt Druck wäre es besser, die Notfallseelsorge attraktiver zu gestalten, den Wert des Dienstes mehr wertzuschätzen. „Man versteht nicht, in welcher Not wir sind.“ 

 

Eine Frage des Personalmangels sei dies nur bedingt, meint Wolfgang Janus. Eher eine Frage der Priorität, gehöre die Notfallseelsorge doch zum Kerngeschäft. Kirche sei Seelsorge. 

 

Deshalb setzte er sich in der Erzdiözese für gute Teams, für gute Rahmenbedingungen und eine gute Ausbildung ein – auch für Ehrenamtliche. Deren neuer Kurs startet übrigens im Januar und umfasst mindestens 100 Stunden mit verschiedenen Einsatzindikationen, Brand zum Beispiel, Unfall oder Vermisste. „Von Großschadensereignissen sind wir im Bistum ja bislang Gott sei Dank verschont geblieben“, sagt Janus und ergänzt: „Abgesehen von einem Terroranschlag bei einem Festival in der Ansbacher Innenstadt und einem Amoklauf an einem Gymnasium“. Zur alltägliche Arbeit gehöre es eine Todesnachricht zu überbringen, Angehörigen nach einem Suizid beizustehen, nach erfolgloser Reanimation, manchmal Todesfälle in Firmen.

 

„Unser Ziel ist es, die betroffene Person wieder ins Handeln zu bringen und ihr zu helfen, soziale Ressourcen zu aktivieren“. Auch die Einsatzkräfte seien froh, da sie sich ihren Aufgaben widmen können weiß Janus. Und für den Notfallseelsorger sei das schöne am Dienst der Satz: Danke, dass sie da waren, dass sie sich Zeit genommen haben.“ Auch wenn mal nur Schweigen angesagt ist. „Notfallseelsorge heißt: sich Zeitnehmen“. Voraussetzung für den (ehrenamtlichen) Dienst sei es offen zu sein, zuhören zu können, wertneutral zu sein; auf jeden zugehen zu können, wie der Samariter zu dem Menschen am Straßenrand. 

 

Leitlinie sei die Fünf-Finger-Regel. „Der Daumen steht für Stabilisieren, Zeit und Zuhören“, erklärt Janus. Der Zeigefinger für die Aktivierung der sozialen Ressourcen wie Verwandte oder Nachbarn; der Mittelfinger erinnere an das Abschiednehmen und das Angebot der Aussegnung; der Ringfinger symbolisiere die „Psychoedukation“ – Betroffenen erklären, dass körperliche und seelische Reaktionen auf das traumatische Ereignisse normal sind, dass sie sich Hilfe suchen sollen, wenn die Reaktionen nach rund vier Wochen nicht besser werden; der kleine Finger schließlich steht für den Verweis auf weiterführende Hilfen.

 

Für den Betroffen sind es zwei, drei Stunden der Begegnung mit dem Seelsorger. Doch sind es Stunden in Krisen und Eckpunkten des Lebens, unterstreicht Pfarrer Gehret. Stunden, in denen die Zeit für die Betroffenen still steht. „Da erlebe ich bei den Menschen eine ganz große Offenheit. Wo Menschen in Krisen kommen, da sind wir als Seelsorger gefragt“.