Bern (KNA) – Die Festtage sind vorbei, das neue Jahr beginnt - und damit blüht auch die Hoffnung auf, dass ein paar Sachen anders, sprich: besser werden. Mancher erinnert sich an die Worte, die Albert Einstein gesagt haben soll: "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert." Damit das nicht passiert, hat man vor Jahresende ein paar Vorsätze notiert. Und man startet mit Elan, zufrieden und zuversichtlich. Aber dann: das "Januar-Loch".
Hand aufs Herz: Ist das eine bequeme Ausrede oder gar eine Einbildung? "Von einem Loch würde ich nicht sprechen, eher von einer ruhigen Zeit, die im Kontrast zu den festlichen Aktivitäten steht", sagt die Psychologin Katrin Meier. "Plötzlich hat man Zeit und Raum, sich nach innen zu wenden oder ist gezwungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen." Depressionen könnten sichtbar werden, depressive Verstimmungen auftreten, wenn der Umbruch zur Belastung wird.
Dabei klingt das Stichwort "Wechsel in eine ruhige Zeit" doch nach purer Entspannung - und kuscheligen Momenten in dieser winterlichen Jahreszeit. Aber "das Weihnachtsfest verkommt nicht selten zu einem materialistischen Fest, das emotional aufgeladen wird", erklärt Meier. "Daher ist die Weihnachtszeit für nicht wenige Menschen anstrengend." Oft blieben Wünsche nach Zugehörigkeit und Harmonie unerfüllt. Die Spannung entlade sich, es gebe Enttäuschungen - zurück bleibe Ernüchterung. "Ich kenne viele Menschen, die froh sind, wenn diese Tage vorbei sind", sagt die 49-Jährige.
Fachleuten zufolge denken nach den Weihnachtstagen deutlich mehr Menschen an Suizid, mit dem Jahreswechsel steigt diese Zahl noch einmal - weltweit. Mit dem Jahreswechsel könne "einiges hochkommen, das lange zurückgehalten wurde", sagt Meier. Das sei belastend.
Grundsätzlich sei es sinnvoll, immer wieder nach innen zu horchen: "Denn dort finden wir Antworten auf unsere Fragen, auch Zugang zu unseren Selbstheilungskräften." Nur beobachte sie nicht selten, dass viele Menschen verlernt hätten, sich um sich selbst zu kümmern und eigenverantwortlich mit ihren Bedürfnissen, Sehnsüchten und Wünschen umzugehen.
Tatsächlich schweben die guten Vorsätze mitunter wie ein Damoklesschwert über uns, den Menschen. Vielleicht nicht sofort. In den ersten Tagen ist man noch optimistisch. Schafft man das Geplante heute nicht, dann morgen. Es gibt immerhin plausible Gründe, wieso man etwas nicht subito umsetzen konnte: Man wollte ja Neujahr bereits weniger essen, aber die Reste von der Silvesterparty wegwerfen, das geht nicht. Oder: Am zweiten Januartag sollte das wöchentliche Joggen beginnen - doch genau an diesem Tag fällt Schneeregen.
Es sei wichtig, "dass wir immer mal wieder aus unserer Bequemlichkeit, aus der Komfortzone heraustreten", mahnt Meier. "Nur so können wir uns weiterentwickeln. Das ist manchmal anstrengend und bedrohlich, doch gleichzeitig fühlt es sich lebendig und stimmig an."
Sind also im Januar nicht nur die Fitness-Studios voller, sondern auch die Beratungsstellen und therapeutischen Praxen? Die Psychotherapeutin, die in der Schweizer Hauptstadt Bern eine eigene Praxis führt, hält fest: "Die vergangenen Jahre der Pandemie haben vielen Menschen eine Diskrepanz aufgezeigt. Und zwar jene zwischen unseren Bedürfnissen und der Lebensrealität eines fremdbestimmten, durchgetakteten Alltags mit andauernder Reizüberflutung." Seit Corona sei deswegen kaum noch eine Saisonalität zu erkennen: Die Anfragen nach Hilfe nähmen seit rund drei Jahren kontinuierlich zu.
Was bleibt, ist die Frage, wie man dem "Januar-Loch" begegnen kann - alle Jahre wieder. "Ich kann allen Menschen nur empfehlen, sich durchs Jahr hindurch regelmäßig Auszeiten zu nehmen, sich Fragen zu stellen wie 'Was macht Sinn?' oder 'Wie soll es weiter gehen?'", sagt Meier. Das ermögliche auch, den Feiertagen "etwas gelassener und mit weniger Erwartungen" zu begegnen - und konstruktiver in das neue Jahr zu starten. "Kurzum: Lasst uns das ganze Jahr durch Januar-Löcher schaffen, um immer wieder eine Reise zu uns selbst zu machen."
von Von Camilla Landbö, KNA