Leipzig (KNA) – "Wir dürfen nicht länger zulassen, dass in unserer Gesellschaft Brandstifter eine begründete Unzufriedenheit von Menschen in Unfrieden ummünzen", betont Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Sie ist am Montag nach Leipzig gekommen, um die bundesweite Jahreskampagne des katholischen Wohlfahrtsverbands zu eröffnen. Das diesjährige Motto: "Frieden beginnt bei mir". Ausgewählt wurde es vor einem Jahr, damals unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine.
"In den vergangenen Monaten bekam es dann eine beklemmend zunehmende Aktualität", berichtet die Caritas-Chefin. "Der Krieg rückte näher, mit den ukrainischen Flüchtlingen kamen neue Ängste, dann der Angriff der Hamas auf Israel und natürlich die zunehmende Polarisierungen der Gesellschaft." Die Caritas als Wohlfahrtsverband mit bundesweit rund 25.000 Einrichtungen und Diensten sehe es als ihre Aufgabe an, mitzuhelfen, Gräben zuzuschütten, um politisch gefährliche Polarisierungen einzudämmen: "Gelebte Nächstenliebe stiftet Frieden", so Welskop-Deffaa.
Doch "Frieden" ist inzwischen kein so eindeutiger Begriff mehr, wie auch die Caritas-Präsidentin einräumt: "Das Wort Friede wird unterschiedlich interpretiert und auch missbraucht, wie man im Zuge des Ukraine-Kriegs sehen konnte." Etwa bei Forderungen nach einem "schnellen Frieden", der aber mit großen Gebietsabtretungen zugunsten von Russland einhergehen würde. "Aus unseren ostdeutschen Caritasverbänden kamen Warnungen, dass wir mit dem Kampagnenmotto womöglich Putin-Freunden in die Hände spielen könnten", berichtet Welskop-Deffaa und ergänzt energisch: "Aber wir lassen uns den Begriff 'Frieden' nicht wegnehmen!"
Ziel der Kampagne sei, deutlich zu machen: Sich für Frieden einzusetzen, ist nicht nur Sache der anderen. Jeder und jede einzelne kann etwas zum Frieden beitragen - in Familie, Schule und Gesellschaft. Um das zu verdeutlichen, gehören 700.000 "Frieden beginnt bei mir"-Aufkleber zur Kampagne, die im Laufe des Jahres auf Spiegel in Caritas-Einrichtungen und im öffentlichen Raum geklebt werden sollen.
Die ersten klebte Welskop-Deffaa auf Spiegel im Kinder-, Jugend- und Familienzentrum der Caritas in Leipzig-Grünau, einem sozialschwachen Stadtteil. Dort besuchte sie das "Stinktier"-Projekt, das seit 20 Jahren Gewaltprävention für Schulklassen anbietet. Bei Projekttagen sollen die Kinder spielerisch lernen, Konflikte frühzeitig zu erkennen, gewaltfreie Lösungswege zu finden und Eskalationen zu verhindern.
"Ich bin kein Stinktier - Gewalt stinkt mir", erläutert Mitarbeiterin Katja Preuß den Projektnamen. Gerade hat sie einen Projekttag mit Siebtklässlern. Dass die Kinder hier "richtig" streiten lernen, sei ein hehres Ziel - aber nur selten zu erreichen: "Was wir machen, ist vor allem Wahrnehmungstraining: Die Kinder sollen sich selbst und Situationen um sich herum besser wahrnehmen - das ist die Voraussetzungen, um auf Stress und drohenden Streit besser zu reagieren."
Im Grunde gehe es um soziale Kompetenzen, vor allem die Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit zu stärken. In jeweils fünf Projekttagen geht es spielerisch unter anderem um Kooperation, Grenzen, Stopp-Sagen, wertschätzendes Miteinander und den Umgang mit Wut. Preuß berichtet, dass die Lehrkräfte mitunter über die Ergebnisse nur staunen können: "Da spielen plötzlich Kindergruppen miteinander, die das sonst nie gemacht haben - oder verabreden sich sogar für den Nachmittag." Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa strahlt: "Hier wird unter Kampagnenmotto gelebt."
Im Laufe des Jahres will die Caritas durch Aktionen an weiteren Standorten die eigenen Träger sowie andere Organisationen, Institutionen, Gruppen und einzelne Menschen dazu bringen, ihren eigenen Beitrag zum Frieden zu reflektieren.