Vatikanstadt (KNA) – Erstmals seit Erlass neuer Normen zu übernatürlichen Phänomenen hat der Vatikan die Visionen einer Marienseherin als unbedenklich eingestuft. Der Fall dreht sich um die mittlerweile gestorbene Italienerin Pierina Gilli (1911-1991). Mehrfach soll ihr die Muttergottes erschienen sein und Nachrichten übermittelt haben. In den von ihr anschließend verbreiteten Botschaften seien keine Elemente gefunden worden, die der Lehre der katholischen Kirche über Glauben und Moral direkt widersprächen, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Brief aus der vatikanischen Glaubensbehörde.
In dem Schreiben des Präfekten Kardinal Victor Manuel Fernandez heißt es weiter: "Auch negative moralische Aspekte oder andere kritische Aspekte sind in den Fakten in Zusammenhang mit dieser spirituellen Erfahrung nicht zu finden. Vielmehr lassen sich mehrere positive Aspekte finden, die in den Botschaften insgesamt hervorstechen, und andere, die eine Klarstellung verdienen, um Missverständnisse zu vermeiden." Entsprechende Textstellen listet Fernandez anschließend auf.
Der Brief des Glaubensdikasteriums ist datiert auf den 5. Juli 2024 und wurde an diesem Tag auch von Papst Franziskus genehmigt. Adressat ist der Bischof von Brescia, Pierantonio Tremolada. In seinem norditalienischen Bistum ereigneten sich die mutmaßlich übernatürlichen Phänomene. Über mehr als 20 Jahre soll Gilli die Gottesmutter immer wieder gesehen haben - in der Kathedrale von Montichiari und dem kleinen Ort Fontanelle in der Nähe. Bei einer dieser Erscheinung soll die Muttergottes sie gebeten haben, mit dem Titel "Rosa Mystica" angerufen zu werden.
Trotz vieler gläubiger Besucher an der Erscheinungsstätte erkannte die katholische Kirche diese Visionen lange nicht an. Erst 2001 wurden öffentliche Gottesdienste in Fontanelle genehmigt, 2019 erfolgte die Errichtung eines Diözesanheiligtums - jedoch noch ohne Anerkennung der Erscheinungen.
In seinem Brief verweist der Präfekt der Glaubensbehörde auf den Hauptzweck der kürzlich erlassenen Vatikan-Normen, die eine "lehrhaft-pastorale Bewertung" dessen vornähmen, was von den übernatürlichen Phänomenen ausgehe. Die Entscheidung, wie jetzt weiter zu verfahren sei, liege beim Ortsbischof.
Damit handelte der Vatikan in Brescia deutlich anders als bei den sogenannten Marienerscheinungen von Trevignano bei Rom. Ende Juni bestätigte er dort das negative Urteil des örtlichen Bischofes, der angebliche Marienerscheinungen einer noch lebenden Seherin als "nicht übernatürlich" eingestuft und ein entsprechendes Kultverbot erlassen hatte.