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Weniger Kirchen, aber lebendiger Glaube

„Es genügt auch, wenn eine kleine Gemeinschaft in Verbindung mit Gott steht und ihr christliches Leben mit Überzeugung gestaltet“: Erzbischof Herwig Gössl bei seinem Festvortrag in der Nürnberger Kirche St. Ludwig. Foto: Bernd Buchner
„Es genügt auch, wenn eine kleine Gemeinschaft in Verbindung mit Gott steht und ihr christliches Leben mit Überzeugung gestaltet“: Erzbischof Herwig Gössl bei seinem Festvortrag in der Nürnberger Kirche St. Ludwig. Foto: Bernd Buchner

Nürnberg (buc) – Angesichts eines drohenden Abbruchs von kirchlichem Leben in Deutschland stimmt Erzbischof Herwig Gössl die Gläubigen auf schmerzhafte Einschnitte ein, warnt aber vor überzogenem Pessimismus. Er sei der festen Überzeugung, „dass nicht die Zahl entscheidend ist für die Wirksamkeit des Glaubens“, sondern die Überzeugung der Gläubigen, sagte er beim Empfang der Nürnberger Stadtkirche. „Es genügt auch, wenn eine kleine Gemeinschaft in Verbindung mit Gott steht und ihr christliches Leben mit Überzeugung gestaltet.“

 

Der Abbau kirchlicher Strukturen erfolge gegenwärtig konfessionsübergreifend, erläuterte der Erzbischof mit Blick auf ähnliche Entwicklungen auf evangelischer Seite. Äußeres Zeichen sei die Aufgabe von Kirchengebäuden, so Gössl. In Nürnberg wird zum Beispiel die Schutzengelkirche im Stadtteil Muggenhof entwidmet und in ein Kinderhaus umgewandelt. Auch andernorts stehen Gotteshäuser vor dem Aus.

 

Hintergrund sind die seit Jahren sinkenden Katholikenzahlen. Im Erzbistum Bamberg gab es im vergangenen Jahr erstmals weniger als 600 000 Kirchenmitglieder. Allerdings wurden auch weniger Austritte als zuletzt verzeichnet. Gössl hatte bei Bekanntgabe der Zahlen erklärt, die Kirche müsse mit weniger Gläubigen, Seelsorgern und Finanzmitteln neue Wege finden, die noch vorhandenen Ressourcen effektiv einzusetzen. Die Volkskirche werde es so nicht mehr geben.

 

In Nürnberg sagte Gössl zu den bevorstehenden Schließungen von Gotteshäusern: „Es wird nicht bei wenigen Kirchen im Erzbistum bleiben.“ Das Bamberger Ordinariat will den 35 Seelsorgebereichen im Herbst einen Gebäudeplan vorlegen, in dem etliche Kirchen für überzählig erklärt werden dürften. Der vormalige Erzbischof Ludwig Schick hatte stets betont, unter ihm werde kein einziges Gotteshaus in der Erzdiözese aufgegeben. Gössl betonte mit Blick auf die anstehenden Entscheidungen: „Man darf sich nicht von Emotionen gefangen nehmen und lähmen lassen.“ Entscheidend seien die Menschen, nicht die Gebäude.

 

„Schreckliche Vorstellung“

 

Der Erzbischof äußerte sich in der Kirche St. Ludwig in der Nürnberger Südstadt vor rund 180 geladenen Gästen, unter ihnen zahlreiche Vertreter aus Stadtpolitik, Kirchen und Gesellschaft. Sein Festvortrag stand unter dem Titel „Stadt ohne Kirchtürme?! Gesellschaft ohne Kitt!?“ Eine Stadt ohne Kirchen wäre für ihn „eine schreckliche Vorstellung“, unterstrich Gössl. Eine Stadt mit weniger Kirchen, „in denen der Glaube lebendig gefeiert wird“, sei für ihn dagegen eine gute Vorstellung. Der Theologe warnte zudem davor, Sinn und Bedeutung von Religion auf mögliche positive „Nebeneffekte“ für die Gesellschaft zu reduzieren. Vom Glauben gingen ohnehin Impulse auf die säkulare Gesellschaft aus, „und zwar ohne Hintergedanken“, betonte er.

 

Zuvor hatte Stadtdekan Andreas Lurz die Gäste des Empfangs willkommen geheißen. Er betonte dabei die spirituelle, kulturelle und soziale Bedeutung der Kirchen. Diese müssten zugleich mehr sein als ein Ort des Glaubens, „so wichtig das auch ist“. Lurz rief die Katholiken auf, in den Orten und Stadtteilen präsent zu sein „und segensreich zu wirken“. Eine Gesellschaft, der die Kirchen fehlten, fehle der Kitt, so der Stadtdekan in Beantwortung von Gössls Vortragstitels.

 

In einer Gesprächsrunde tauschten sich der Leitende Pfarrer des Seelsorgebereichs Nürnberg Südstadt-West, Alexander Gießen, die persönliche Mitarbeiterin von Kulturreferentin Julia Lehner, Martina Bauernfeind, sowie die Öffentlichkeitsreferentin der Stadtkirche, Elke Pilkenroth, über die Rolle der Kirchen in Nürnberg aus. Gießen verwies mit Blick auf St. Ludwig, wo sich bis 2006 ein Franziskanerkloster befand, auf die Öffnung des Platzes vor der Kirche als „Stadtplatz“ für die hier wohnenden Menschen. Bauernfeind sagte, in den Gottesdiensten in der Lorenzkirche träfen Gläubige im „evangelischen Flanell“ auf Dragqueens, Einkaufsgäste und Touristen.

 

In Nürnberg gehört inzwischen weniger als die Hälfte der Wohnbevölkerung einer der beiden großen Kirchen an. Der Anteil der Protestanten liegt bei rund 22 Prozent, etwas mehr als 19 Prozent der Menschen sind katholisch.