Bonn (KNA) – Will man die Amtszeit eines Papstes beurteilen, muss man sich die engsten Mitarbeiter ansehen, die er ausgewählt hat. Diese These vertritt der Priester und Augsburger Professor für Kirchengeschichte Jörg Ernesti in seinem neuen Buch: "Geschichte der Päpste seit 1800" ist diese Woche im Freiburger Herder Verlag erschienen.
Seine These gelte insbesondere für die Privatsekretäre der Päpste, so der Kirchenhistoriker. Denn ihre Aufgabe sei es, den Tagesablauf zu organisieren, den Zugang zu ihrem Dienstherren zu regeln und gelegentlich an seinen Dokumenten mitzuwirken.
Ernesti weist darauf hin, dass die Privatsekretäre der Päpste seit Johannes XXIII. (1958-1963) eine große Bedeutung erlangt hätten, obwohl sie eigentlich gar nicht in der vatikanischen Hierarchie vorgesehen seien: "So haben die Päpste der letzten 60 Jahre allesamt Sekretäre an ihrer Seite gehabt, deren Einfluss letztlich nicht durchschaubar und kontrollierbar war."
Papst Benedikt XVI. und Georg Gänswein
Der Historiker bezieht dies ausdrücklich auch auf Georg Gänswein, Privatsekretär des Ende 2022 verstorbenen Benedikt XVI., dessen Einfluss auf den Papst er als schwer zu bestimmen charakterisiert.
Darüber hinaus ordnet Ernesti es als ungewöhnliche Entscheidung ein, dass Benedikt XVI. 2013 zwei Monate vor seinem Rücktritt seinen Privatsekretär Gänswein zum Erzbischof erhoben und ihn zum Präfekten des päpstlichen Hauses gemacht habe. Denn früher seien die Privatsekretäre nach dem Tod "ihres" Papstes meist als einfache Priester in ihr Heimatbistum zurückgekehrt.
Johannes Paul II. und Stanislaw Dziwisz
Ein anderer prominenter Papstsekretär war Stanislaw Dziswisz. Von 1966 bis zu dessen Tod 2005 war der Pole der wohl engste Vertraute von Johannes Paul II. Dieser ernannte ihn 1998 zum Bischof und zum Beigeordneten Präfekten des Päpstlichen Hauses. Vor allem in den letzten Jahren des Papstes aus Polen galt Dziwisz als einer der einflussreichsten Geistlichen im Vatikan. 2005 ernannte Benedikt XVI. ihn dann zum Erzbischof von Krakau und erhob ihn 2006 zum Kardinal.
Diese Entscheidungen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seien eine Art Rückgriff auf eine frühere Zeit, die insgesamt stärker vom Nepotismus - auch als "Vetternwirtschaft" bekannt - geprägt gewesen sei, so Ernesti weiter. Die Nepoten, lateinisch für Neffen, hatten früher eine wichtige Rolle am Päpstlichen Hof. Es mussten nicht unbedingt echte Neffen oder Verwandte sein, ergänzt der Historiker. Aber sie seien im Idealfall die Mitarbeiter gewesen, auf die sich die Päpste absolut verlassen konnten. Ernesti wirft in seinem Buch die Frage auf, ob "die Hoftheologen und päpstlichen Vertrauten nicht in der Tradition des Nepotismus stehen". Das Urteil, wie gut oder schlecht dies für die Kirche ist, überlässt er allerdings künftigen Historikern.
Papst Franziskus hat übrigens inzwischen seinen sechsten Privatsekretär. Seit gut einem Jahr ist es der 41 Jahre alte Priester Daniel Pellizon aus Argentinien. Nach Einschätzung mancher Beobachter will der aktuelle Papst verhindern, dass ein Mitarbeiter in seinem Umfeld zu viel Einfluss gewinnt.