München (KNA) — Nachttöpfe, Gartenzwerge, tote Käfer – sammeln lässt sich so gut wie alles. Glücklich, wer für die Objekte seiner Leidenschaft mit einem Schuhkarton, einem Regal oder einem Hobby-Keller auskommt. Sixtus Lampl sammelt Orgeln. Kirchenorgeln.
Die alte aus der Münchner Frauenkirche zum Beispiel ruht zerlegt bei ihm in einem Schuppen. Ein unwürdiger Zustand, der den Enthusiasten betrübt. Natürlich würde er sie gern aufstellen, und zwar so, dass sie sich auch spielen lässt. In Valley südöstlich von München befindet sich sein Reich. Valley, das klingt nach großer, weiter Welt. Es ist aber ein kleines Dorf; hier wohnt Lampl mit Frau und Hund im Alten Schloss – und hütet seine Schätze.
Mit 60 Kirchenorgeln verfügt der 83-Jährige über die größte derartige Sammlung auf der Welt. 24 konnte er inzwischen aufbauen: im Schloss, verteilt über mehrere Stockwerke, in einer ehemaligen Sägewerkshalle auf dem 8000 Quadratmeter großen Grundstück, das er dazu erworben hat, sogar unter der Erde. Etwa zwölf Mal im Jahr gibt es Konzerte.
Sein Lebenswerk
Sein gesamtes Vermögen hat der Hoferbe in das Projekt eingebracht. Es ist sein Lebenswerk. Und es ist noch nicht vollendet. Ein Bauzaun begrenzt das Areal. Auf Paletten steht Baumaterial herum. In einem Anbau will der Sammler mehr Platz schaffen, und zwar endlich auch für die bayernweit letzte erhaltene romantische Groß-Orgel aus der Landshuter Martinskirche. Für jenes Instrument, mit dem die Geschichte der Kollektion vor nunmehr 40 Jahren begann.
Doch die Arbeiten stocken. Die Kosten laufen „dem Lampl“, wie er sich selber nennt, davon, vielleicht auch die Zeit. Genug Stoff für Alpträume. Und dann noch die engstirnigen Bürokraten mit ihren Vorschriften. Von Denkmalschützern und anderen Behördenmenschen fühlt sich der Kunsthistoriker und Musikwissenschaftler gepiesackt. Dabei war er doch fast sein ganzes Erwerbsleben lang einer von ihnen. Als Konservator im bayerischen Landesdenkmalamt.
Wann ihn das Orgelvirus infiziert hat, kann Lampl genau sagen. Die Eltern gaben ihn ins Internat nach Kloster Schäftlarn. Mit elf erhielt er von einem Pater den ersten Instrumentalunterricht. Beim Üben froren ihm im Winter die Hände schier ab. Doch nach nur einem Jahr durfte er sein erstes festliches Hochamt orgeln. Lampl spielt heute noch regelmäßig in seiner Heimatkirche.
„Orgelzentrum“ steht auf dem Schild vor dem Eingang. Es lässt nicht ansatzweise erahnen, was sich hinter der Tür auftut: eine Wunderwelt, ein Klang-Kosmos. Man lernt über die ausgeklügelte Kunstfertigkeit staunen, die in immer neuen Verfeinerungen die „Königin der Instrumente“ hervorgebracht hat. Feste Öffnungszeiten gibt es nicht, nur Führungen nach Anmeldung.
Für die Fachwelt ist Valley längst eine wichtige Adresse. Doch als Museum, wie es dem Hausherrn vorschwebt, könnte das Zentrum so vieles mehr sein. Ein seltenes Demonstrationsobjekt der Firma Steinmeyer lässt anschaulich verstehen, auf wie viele verschiedene Arten sich Luft in Pfeifen lenken lässt und wie in Verbindung mit Manualen und Registerzügen Töne entstehen. Um Musik daraus werden zu lassen, greift Lampl selbst in die Tasten. Als guter Organist braucht er keine Noten: ein kleines Vorspiel, eine Improvisation – gelernt ist gelernt.
Das kleinste Instrument ist nicht historisch, sondern ein Nachbau: eine barocke Prozessionsorgel mit Griffstangen für vier Träger. Zwischen den beiden hinteren spielte einst der Organist – im Gehen. Vorn musste eine weitere Person einen zweizügigen Blasebalg per Hand betätigen.
Ein Riese
Gegenüber ragt hinter einem Geländer aus dem Untergeschoss ein Riese herauf: die alte Orgel der berühmten fränkischen Wallfahrtskirche Gößweinstein. Mehrere tausend Pfeifen hat sie, die Längsten würden die Decke sprengen. Lampl hat sie deshalb abgeschnitten und ums Eck wieder stückweise angelötet. Was jetzt eher nach Ofenrohr aussieht. „Dem Ton macht das nichts aus“, versichert der Fachmann und nimmt am Spieltisch Platz. Das gewaltige Brausen erfasst sofort die Eingeweide. Wann kommt ein Kirchenbesucher einer Orgel schon so nahe?
Lampls absolutes Highlight ist unter der Grasnarbe im Garten verborgen. In einem unterirdischen Saal hat er eine monumentale Kinoorgel aus Heidelberg platziert. In der Stummfilmära sorgten solche Schall-Monster für alle Facetten von Begleitmusik: Ein Kuckuck ruft, ein Auto hupt, die Sirene heult, das Telefon klingelt. Alles im Sound der 1920er Jahre. Ein Erlebnis ist nicht nur, sie zu hören. Man kann auf verschlungenen Pfaden auch durch sie hindurchgehen oder besser: – steigen. Ginge es nach dem Hausherrn, würden hier künftig Filme laufen, selbstverständlich mit Live-Musik. So wie früher. Aber: Für eine öffentliche Vorführung fehlt der Notausgang.
Jüngst ist bei einem Unwetter Wasser eingedrungen. Und so sorgt bis auf Weiteres hier unten nur ein Bautrockner für die Geräuschkulisse.
Ein Denkmal
Ein Blick in den fast 250 Jahre alten Stadel, der selbst auch ein Denkmal ist und Lampl als Depot dient: ein Gewirr von Pfeifen aus Zinn, Zink und Holz, senkrecht eingelagert, aber auch quer auf halber Höhe. Einige sind arg verbeult. Die Frage an den Sammler, ob die Kollektion komplett ist, beantwortet Lampl etwas unsicher: Eigentlich sei kein Platz mehr, aber wenn da jemand mit einer Rarität aufkreuzen würde – dann könnte es sein, dass „der Lampl“ noch einmal schwach wird.
Kostspielig ist weniger der Erwerb. Für die Orgeln selbst hat Lampl kaum mal etwas bezahlt. Ins Geld gingen aber Abbau und Abtransport, für den nach Auskunft des Sammlers die früheren Besitzer bis hinauf zum Münchner Domkapitel niemals aufkommen wollten.
Stundenlang könnte man dem kleinen Herrn mit den buschigen weißen Koteletten lauschen. Vorbesitzer seines Schlosses war der Schriftsteller Michael Ende. „Hier unter dem Dach ersann er seine Unendliche Geschichte.“ Endes Bestsellertitel trifft zweifellos auch auf Lampls Werk zu.