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Festliche Stimmung in der Bahnhofshalle

Traditionell laden evangelische und katholische Kirche an Heiligabend zu einem Gottesdienst im Nürnberger Hauptbahnhof ein. Die Weihnachtsbotschaft wurde wie immer vom Christkind verkündet. Foto: Bernd Buchner
Traditionell laden evangelische und katholische Kirche an Heiligabend zu einem Gottesdienst im Nürnberger Hauptbahnhof ein. Die Weihnachtsbotschaft wurde wie immer vom Christkind verkündet. Foto: Bernd Buchner

Nürnberg (buc) – Der Glaube mag mit dem Weihwasser verdunsten, die Kirche mag kleiner werden und in ihrer öffentlichen Bedeutung schrumpfen. Doch die Luft ist noch feucht, das Christentum ist lebendig geblieben und sucht sich neue Räume für seine froh machende Botschaft, dass jeder Mensch gleichermaßen wertvoll und von Gott geliebt ist. Neue Räume, die es auszukleiden und zu weiten gilt, die überall sein können, auch in einer Bahnhofshalle mit ihrem allumfassenden Trubel, mit dem unruhigen Stimmen- und Stimmungsgewirr zwischen Ankunft und Aufbruch, Abschied und Wiedersehen, Vorfreude und banger Erwartung.

 

Der ökumenische Weihnachtsgottesdienst am Heiligen Abend um zwei Uhr nachmittags mitten in der großen Halle des Nürnberger Hauptbahnhofs ist inzwischen zu einer guten Tradition geworden, man könnte sagen: zu einer Gewohnheit. Und doch rührt diese Veranstaltung die Beteiligten und Besucher, die Verantwortlichen und die Zaungäste jedes Mal auf eine ganz eigene Art an, weil sie mit ihrer spirituellen Kraft und Ausstrahlung mit einer Geschäftigkeit zusammenprallt, die unberechenbar ist. Frohe Botschaft trifft auf Durchreiseparole – und es entsteht etwas, was es vorher noch nicht gab, was zumindest nicht sichtbar, nicht spürbar war.

 

Das Motto der Feier, zu der die Kirchen gemeinsam mit der Bahnhofsmission und weiteren Organisationen eingeladen haben, lautet diesmal „Weihnachten – um des Friedens willen“. Vorne am Tisch, den helfende Hände zuvor in die Halle getragen hatten, Platz schaffend im Strom der Vorbeiziehenden, stehen Pfarrerin Lidia Barth sowie Pastoralreferent Wolfgang Janus. Als die Geistliche das Wort ergreift, brandet von irgendwoher sanfter Beifall auf, wie noch häufiger bei dem Gottesdienst, nie weiß man genau, aus welcher Richtung, manchmal auch nicht, warum. Der Beifall scheint nicht zielgerichtet, doch zugehörig.

 

Mitten im Trubel ist ein Erstaunen spürbar

 

Zuvor bereits haben Bläser aus der Region „Macht hoch die Tür“ angestimmt, sie stehen oben auf der Balustrade der Haupthalle und werden von Antonia Dikhoff geleitet. Der musikalische Beginn der Feier ist der Moment, in dem das geschäftige Grundrauschen im Bahnhof erstmals innehält, mitten in Trubel und Hektik ist ein Erstaunen spürbar, Verwunderung, neugierige Blicke gehen durch den Raum. Es wirkt wie ein kollektives Innehalten, ein Aufmerken, wie man in Franken sagen würde.

 

„Um des Friedens willen kommt Gott als Mensch zu uns Menschen“, sagt Pfarrerin Barth. Das Leitmotiv der Feier passt gut zu dem großen, von Iris Raum gestalteten Wandmosaik im Hauptbahnhof, das gewissermaßen als Altarbild für den Gottesdienst dient: ein sich friedensbewegt umarmendes Pärchen ist dort unter anderem zu sehen, nebst den Worten: „Make love not war“. Macht Liebe, nicht Krieg. Man möchte es in die Welt rufen, in die Ukraine, in den Nahen Osten, in die vielen anderen Krisenherde der Gegenwart.

 

Mitarbeiterinnen der Bahn bringen das Friedenslicht herein, das in diesem Jahr schon zum zweiten Mal nicht in Betlehem selbst entzündet werden konnte, denn dort herrscht Krieg. Und dann nimmt die Zahl der Handys, die nach oben gezückt werden, um Fotos zu schießen und Videos zu drehen, noch einmal rapide zu, denn das Nürnberger Christkind tritt herbei – goldener Umhang über weißem Kleid, goldenes Haar und Goldkrone, liest Nelli Lunkenheimer bedächtig, mit warmer Stimme die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium vor. Eine Frau mit Reiterstiefeln und falschem Nerzkragen drängt sich nach vorne durch, um ein Foto zu machen, in ihrem Gesicht meint man die Ellenbogen des Lebens zu sehen. Doch auch sie gehört zur Gemeinde, in dieser Stunde.

 

Zum Schluss natürlich „O du fröhliche“ und „Stille Nacht“, obwohl diese beiden Lieder liturgisch eigentlich der Weihnachtsnacht selbst vorbehalten bleiben. Und die vielen Fotos, Videos, nicht nur vom Christkind, werden hinausgeschickt in die Welt, sicher auch zu Menschen, denen die Weihnachtsbotschaft fremd ist und wohl bleibt. Doch es hat sich etwas verändert. Nach der Feier ist die Stimmung eine andere. Ein Hund bellt, in das bahnhöfliche Grundrauschen hinein. Er bellt friedlich.