
Bamberg (cga) – Fotoapparat, mehrere Mikrofone, Maßband und allerlei Werkzeug. Der Rucksack von Ben Schröder ist bis oben hin gefüllt. Die ersten Stufen sind noch gut zugänglich. Doch mit jedem Stockwerk wird es ein wenig enger, schmaler. Kurz bevor das Ziel erreicht ist, muss der Rucksack abgenommen und durch die schmale Luke nach oben gestemmt werden. Fast 800 Kirchtürme hat Schröder in den vergangenen Jahren bestiegen. Und zwar aus einem Grund: Sein besonderes Interesse gilt den darin hängenden Glocken.
Der 21-jährige Student aus Bamberg, dessen familiäre Wurzeln im unterfränkischen Schwarzach liegen, beginnt in diesen Wochen eine knapp zweijährige Ausbildung zum Glockensachverständigen für das Erzbistum Bamberg.
Begonnen hat alles mit einer Kamera, die Ben Schröder damals zur Erstkommunion geschenkt bekam. Und der Entdeckung, dass es im Internet auch Aufnahmen von Glocken gibt. Eine Woche später war er erstmals auf einem Kirchturm. Doch während es am Anfang vor allem eher die kindliche Begeisterung für Glocken war, stehen im Laufe der Zeit, spätestens so mit 17, 18 Jahren wissenschaftliche Fragestellungen im Vordergrund. Glocken sind Musikinstrumente. Aber eben nicht nur: sie sind auch Denkmal, Zeitzeugen und Kunstobjekt.
Die in der Mitte hängende große Pettstadter Glocke hat fast 600 Jahre auf dem Buckel. „Sie stammt aus dem Jahr 1433“, erläutert Ben Schröder. Die beiden anderen Glocken seien deutlich jünger. Sie stammen aus dem 17. Jahrhundert sowie aus dem Jahr 1949. In der Literatur seien Glocken oft völlig vernachlässigt. Um sich auf einen Besuch, wie hier in Pettstadt vorzubereiten, nutzt Schröder verschieden Quellen, vorwiegend Archive. Dort setzt er sich mit Originaldokumenten auseinander, die zum Teil bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen. So lag beispielsweise die mittlere Glocke von 1623 bereits auf einem Hamburger Glockenfriedhof zum Einschmelzen. Glücklicherweise fand sie 1947 ihren Weg in die Heimat zurück. Die kleine Glocke von 1815 wurde für Kriegszwecke eingeschmolzen und 1949 durch eine neue Glocke ersetzt.
Auch wenn es draußen ein relativ sonniger Wintertag ist, ohne zusätzliche Beleuchtung mittels mobiler Scheinwerfer geht es nicht. Zunächst bestimmt Schröder die unterschiedlichen Teiltöne der Glocke. Diese erst setzen sich im menschlichen Ohr zu dem Ton zusammen, den wir beim Glockenläuten hören. Schröder setzt eine Stimmgabel an die Glocke an. „Wenn die Glocke antwortet, dann stimmt der Ton überein“, erläutert der Glockenfachmann. Sobald dies geschehen ist, setzt sich Schröder den Gehörschutz auf, geht unter die Glocke, nimmt den Klöppel in die Hand und schlägt diesen gegen die Glocke. Einerseits misst man damit die Abklingdauer, wie lange also verschiedene Teiltöne der Glocke nachhallen. Andererseits werden die Anschläge per Mikrofon aufgezeichnet und archiviert, sie dokumentieren den klanglichen Zustand einer Glocke und können bspw. dafür dienen, frühzeitig Beschädigungen zu erkennen.
Schließlich lässt Schröder die Glocken auch erklingen – einzeln und im Gesamtklang. Dieses Geläut wird ebenfalls aufgenommen. Im Anschluss daran folgt dann eine eingehende Untersuchung der Glocke, „also dem Durchmesser, der Stärke, der Höhe, aber auch der Inschriften, Reliefs oder sonstiger Verzierung“, die sich darauf befinden. „Die Untersuchung einer Glocke vor Ort dauert mindestens eine halbe Stunde“, erläutert Schröder. Nicht mit eingerechnet bei dieser Zeitangabe sind die Vorbereitungen, also erst einmal den richtigen Ansprechpartner zu finden. Und im Nachgang werden dann die Aufnahmen, Messungen und weiteren Ergebnisse in einer Dokumentation zusammengefasst. Selbstverständlich stellt Ben Schröder die mehrseitigen Ergebnisse seiner Arbeit den Pfarreien auf Wunsch zur Verfügung. Aktuell ist das momentan noch Hobby. Möglicherweise wird daraus aber einmal ein berufliches Standbein. Voraussetzung dafür ist die Ausbildung zum Glockensachverständigen, die der 21-Jährige nun beginnt.
Der Umfang dieser Ausbildung klingt erst einmal überschaubar. Dreimal eine Woche Unterricht in Heidelberg, Halle und Regensburg ist jedoch nur der eine Teil. Jeder „Neuling“ benötigt einen Mentor, der einen die praktische Arbeit eines Glockensachverständigen nahebringt. „Der zeitliche Umfang, den man mit seinem Mentor investiert, hängt ein Stück weit auch von einem selbst ab“, erzählt Schröder. Doch wie bei vielen Qualifikationen, so ist am Ende eine mehrteilige Prüfung zu absolvieren. Ein Teil der Prüfung ist ein so genanntes Turmgutachten. Dieses ist die Beurteilung des Zustandes der Glocken und der Anlage. Erst wenn diese Prüfung absolviert ist, darf der Titel Glockensachverständiger geführt werden. Der nimmt beispielsweise beim Guss die neue Glocke ab, stellt also „amtlich“ fest, ob eine Glocke gelungen ist oder nicht. Eine weitere Aufgabe des Glockensachverständigen ist die Pfarreien vor Ort in allen Fragen zu beraten. Dies bedeutet konkret, dass der technische Zustand der Glocken überprüft werden soll. Zudem geht es um alle Maßnahmen, die mit den Glocken zu tun haben. Im Idealfall kontaktiert die Kirchenverwaltung bei Fragen zu Glocken den Glockensachverständigen direkt.
Und natürlich sollte es auch im Erzbistum eine Datenbank geben, in der die Inventarisierung aller Kirchenglocken verzeichnet wird. Seit den groß angelegten Glockenneuanschaffungen nach dem Zweiten Weltkrieg sei eine Verzeichnung der Glocken nicht systematisch erfolgt und durchaus ein Nachholbedarf vorhanden. Und es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, wann Schröder seinen 1000. Glockenturm besteigen wird.