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Mag uns Gott überhaupt, da wir so leiden?

Nürnberg (buc) – Millionen Ukrainer sind seit Beginn des brutalen russischen Angriffskriegs vor drei Jahren aus dem Land geflüchtet. Allein in Nürnberg wird die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer auf bis zu 15 000 geschätzt. Geflohen vor Gewalt, Zerstörung und Tod, leben sie fern der Heimat, mit banger Sorge um Angehörige und Freunde, die sie im Krieg zurücklassen mussten, und um die Zukunft ihres versehrten Landes.

 

Viele der Geflüchteten sind orthodoxe Christen, eine ganze Reihe aber gehört zur Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, die den Papst in Rom als Oberhaupt anerkennt. Im Land selbst macht die Konfession rund sechs Prozent der Bevölkerung aus, hauptsächlich im Westen rund um die Metropole Lwiw (Lemberg). Weltweit fühlen sich rund 4,3 Millionen Menschen dieser unierten Kirche zugehörig.

 

Auf dem Gebiet des Erzbistums Bamberg gibt es zwei griechisch-katholische Personalpfarreien, eine mit Sitz in Bamberg, die für das nördliche Oberfranken und auch für Würzburg zuständig ist. Die zweite hat ihren Sitz seit September in der Kirche Heilige Familie in Nürnberg-Reichelsdorf, zuvor war sie in der jetzt renovierungsbedürftigen Willibaldskirche in der Rangierbahnhofsiedlung beheimatet.

 

Studium in Eichstätt

 

Gleichzeitig gab es auch einen Wechsel an der Spitze der Pfarrei: Ihr steht nun Vater Ihor Chernikhovskyi vor. Der sympathische 31-Jährige stammt aus Lemberg, studierte seit 2017 am ostkirchlichen Collegium Orientale in Eichstätt Theologie und wurde vor zwei Jahren dort zum Priester geweiht. Chernikhovskyi trägt einen Ehering – er ist verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. In den unierten Kirchen gibt es die verpflichtende Ehelosigkeit für Geistliche nicht.

 

Jeden Sonntag um 12 Uhr feiert der Priester mit den Gläubigen Gottesdienst – sie kommen nicht nur aus Nürnberg oder Fürth, sondern auch aus Forchheim, Ansbach oder anderen Diözesen. Auch viele orthodoxe Christen sind dabei, manche von ihnen lassen sogar ihre Kinder durch Chernikhovskyi taufen. Den Menschen ist das Sakrament wichtig, nicht die Konfession. Fern der Heimat funktioniert die Ökumene von Katholiken und Orthodoxen zuweilen besser als zu Hause.

 

Die Göttliche Liturgie – am Samstagabend um 18 Uhr gibt es eine weitere regelmäßige Feier in St. Sebald in Erlangen – wird im byzantinischen Ritus gefeiert, wie in der orthodoxen Kirche auch. Für die Gläubigen ist die Messfeier natürlich wichtig, aber auch die Begegnung, der Austausch mit Menschen, die die gleiche Sprache sprechen und ihr Schicksal teilen. „Wir versuchen, hier ein kleines Stück Ukraine zu schaffen“, sagt der Priester.

 

Seine Tätigkeit ist Seelsorge in sehr umfassendem Sinne, geht über Gottesdienst und Beichte weit hinaus. Die Menschen seien müde, viele wollten nach Hause, berichtet der 31-Jährige. Er hört Fragen wie: Mag Gott uns überhaupt, wenn er uns so leiden lässt? Warum habe ich meinen Sohn verloren, meinen Mann, meinen Bruder? Jüngst kam eine Frau zu Chernikhovskyi, deren Bruder an der Front ist, die Ukrainer sagen „Null-Position“. Sie brauchen dort ein Auto, um Verletzte wegzubringen. Die Gemeinde startete eine Spendenaktion, das Auto kann bald beschafft werden.

 

Was den Blick auf die Heimat betrifft, teilt der Priester die Sorge aller seiner Gemeindemitglieder. „Meine ganze Familie ist dort“, sagt Chernikhovskyi. Täglich telefoniert er mit seinen Eltern in Lemberg, dessen Energieversorgung regelmäßig von den Russen angegriffen wird. Seine Mutter muss manchmal in zwei Stunden den ganzen Haushalt machen, waschen, kochen, sie sagt am Telefon: „Wir haben noch zehn Minuten Strom.“ Seinen älteren Bruder hat der Geistliche seit Jahren nicht gesehen: „Zuerst hat uns Corona getrennt, jetzt der Krieg.“ Schulkameraden sind im Krieg gestorben, auch Nachbarn. „Die Friedhöfe sind voll.“

 

Der bevorstehende Jahrestag wird ein emotionaler Moment für alle Ukrainer, auch jene in Nürnberg. Dass Erzbischof Gössl und auch der Nürnberger Oberbürgermeister zu einer Gedenkfeier in Reichelsdorf kommen, ist für den Priester ein wichtiges Zeichen der Solidarität: „Das bedeutet uns sehr viel.“