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Töchter gewaltsam aus dem Kloster geholt

Rudolf Schiestls Holzschnitt „Die Nonnenfuhre“ von 1925 veranschaulicht das unerbittliche Vorgehen der reformatorisch gesinnten Nürnberger gegen die örtlichen Klarissen unter Äbtissin Caritas Pirckheimer. Foto: Museen der Stadt Nürnberg
Rudolf Schiestls Holzschnitt „Die Nonnenfuhre“ von 1925 veranschaulicht das unerbittliche Vorgehen der reformatorisch gesinnten Nürnberger gegen die örtlichen Klarissen unter Äbtissin Caritas Pirckheimer. Foto: Museen der Stadt Nürnberg

Nürnberg (buc) – Die Schilderungen lassen etwas von der rücksichtslosen Brutalität erahnen, mit der die Nürnberger Bevölkerung in der Reformationszeit gegen den Klarissenorden vorging. „Das geschrey und gefecht hörenten die s(western) und auch die weltlichen leut“, notiert Äbtissin Caritas Pirckheimer (1467-1532) in ihren „Denkwürdigkeiten“. Das emotional geschriebene Tagebuch hält jene Szenen an Fronleichnam 1525 fest, als Eltern aus Patrizierfamilien ihre Töchter gewaltsam und gegen deren Willen aus dem Kloster holten.

 

Emotionale Beschreibungen

 

Vier Jahrhunderte später hat der Grafiker und Maler Rudolf Schiestl (1878-1931) das Geschehen auf einem expressiven Holzschnitt dargestellt. Weitere hundert Jahre danach ist das Werk in einer kleinen, aber feinen Sonderpräsentation im Nürnberger Stadtmuseum Fembohaus zu sehen – direkt darunter können die Besucher einen seltenen Blick auf das Originalmanuskript von Pirckheimers „Denkwürdigkeiten“ werfen, das im örtlichen Staatsarchiv verwahrt wird. Es ist die Handschrift einer hoch gebildeten Frau von herausragender Spiritualität, die den Niedergang der Klarissen gleichwohl nicht abwenden konnte.

 

Für die jungen Frauen bedeutete der Gang ins Kloster seinerzeit, der oft sehr frühen Eheschließung mit ihren Pflichten und männlichen Repressalien zu entgehen und stattdessen in den Genuss von Bildung zu gelangen. Die Präsentation wirft einen Blick aus weiblicher Perspektive auf die damaligen Geschehnisse, wie Kuratorin Anne Sophie Schneider erläutert. Margaret Tetzel, Katharina Ebner und Klara Nützel, die auf der „Nonnenfuhre“ saßen, verloren 1525 Schutz und Heimat, standen vor einer ungewissen Zukunft. Klaras Vater, Klosterpfleger Kaspar Nützel, hatte seine Tochter übrigens sieben Jahre zuvor noch persönlich den Schwestern überantwortet.

 

Caritas selbst war bereits als Zwölfjährige ins Nürnberger Klarissenkloster gegangen. In der Reformationszeit gelang es ihr als Äbtissin mit der Verantwortung für rund 60 Ordensfrauen immerhin, die sofortige Schließung ihres Hauses abzuwenden. Das Kloster umfasste ein großes Areal rund um die bis heute bestehende Kirche St. Klara und reichte bis zur Stadtmauer am Frauentor. Im persönlichen Gespräch mit Philipp Melanchthon (1497-1560) konnte die Klosterchefin immerhin die sofortige Schließung abwenden. Sie berief sich ausgerechnet auf Luthers Freiheit des Christenmenschen, aus der sie ein selbstbestimmtes Leben auch für ihre Nonnen ableitete.

 

Caritas Pirckheimer, auch das wird im Fembohaus thematisiert, war keineswegs eine radikale Gegnerin von Kirchenreformen. Als Zeitgenossin hatte sie einen wachen Blick auf die bestehenden Missstände, tauschte Briefe mit Erasmus von Rotterdam und Albrecht Dürer, ließ sich aber weder von ihrem Bruder Willibald, einem herausragenden Humanisten, noch von Nützel vom Segen der Reformation überzeugen. Luther vertrat die Ansicht, die Rolle der Frau liege in der Mutterschaft, deshalb wandte sich seine Bewegung gegen die Klöster. Es half nichts, dass sich selbst Melanchthon, der in Nürnberg das erste deutsche Gymnasium gründete gegen die gewaltsame Entfernung junger Ordensschwestern stemmte.

 

Anlass der Präsentation ist das Nürnberger Religionsgespräch, das sich zum 500. Mal jährt. Im März 1525 disputierten im Rathaussaal Altgläubige und „Evangelici“, wie man sie anfangs nannte, über den rechten Glauben. Nürnberg wurde bald darauf die weltweit erste protestantische Stadt. Gottesdienste in St. Klara wurden gestört, Kirchenfenster eingeschlagen, Steine in den Chor geworfen. Die Klarissen wurden ein „Aussterbekloster“, durften keine Schwestern mehr aufnehmen. 1594 starb die letzte von ihnen, der Klosterbesitz ging auf die Stadt über.