Gleich zweimal werden die Personalausweise an diesem Tag kontrolliert; lang ist die Besucherschlange am Eingang der Alhambra, jeder versucht ein Plätzchen im Schatten zu ergattern. Tags zuvor
haben sich hier noch namhafte EU-Politiker vor blitzenden Kameras beim Granada-Gipfel die Hände geschüttelt. Nun ist Spaniens meist besuchtes Bauwerk wieder für die Bevölkerung geöffnet. Darunter
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Heinrichsblatt-Leserreise, die sich – einem beeindruckenden Labyrinth gleich – durch die weltberühmte Sehenswürdigkeit führen lassen.
Hier und da bleiben Einzelne stehen, zücken Smartphones und warten auf diesen einen Moment, in dem Touristenscharen aus aller Welt den Blick für eine Sekunde auf das lang ersehnte Motiv frei
geben. Fast andächtig angesichts einer schier einzigartigen Bauweise schieben sich die Besucherinnen und Besucher aneinander vorbei im Bemühen, weder die eigene Gruppe noch den jeweiligen
Touristenführer aus dem Blick zu verlieren. Die rote Burg, wie die Alhambra auch voller Stolz genannt wird, repräsentiert eine ursprünglich unabhängige Stadt in der Stadt; majestätisch hebt sie
sich vom Hintergrund der Sierra Nevada ab, mit knapp 3500 Metern die höchsten Gebirgskette der Iberischen Halbinsel. Meterhohe immergrüne Hecken und duftende Rosen gehören ebenso zur Alhambra wie
Wasserspiele und imposantes Mauerwerk sowie gleich mehrere Paläste mit aufwändig gestalteten Decken und Verzierungen, die durch Detailtreue und Perfektion schier sprachlos machen.
Hier geht es neben Schönheit vor allem auch um die Symbolik von Macht und Reichtum – und nichts geringeres als das Paradies. „Spiegelbilder können diese Wirkung noch verstärken“, erklärt
Fremdenführer Carlos Moreno mit Blick auf die geschickt angelegten Wasserbecken, die in den Innenhöfen einiger Paläste für Verspieltheit und Größe sorgen.
Szenenwechsel: Sevilla irgendwo zwischen dem Park Maria Luisa, der berühmten Plaza de España, dem Spanischen Platz, und der drittgrößten Kathedrale der Welt mit ihren langen Besucherschlangen,
die auf Einlass warten – nicht zuletzt, um den Ort zu sehen, an dem die Gebeine des Abenteurers Christoph Kolumbus’ ruhen (sollen). Auf dem Weg dorthin kleine Souvenirlädchen und gemütliche
Cafés.
„Sevilla wurde insbesondere durch zwei Ausstellungen berühmt“, erklärt Julio Lara Berrocal, der heute die Reiseleitung inne hat und die Gruppe auf den meisten der Tagesausflüge begleitet: Sowohl
die so genannte Ibero-Amerikanische Ausstellung 1929, mit der man die geschichtlich engen Beziehungen zwischen Spanien, Lateinamerika, Portugal, Brasilien und den USA habe verbessern wollen, als
auch die Weltausstellung 1992, die sich 500 Jahre nach der Entdeckung Amerikas mit dem Thema der „Geburt einer neuen Welt“ beschäftigt habe, hätten das Gesicht der Stadt maßgeblich verändert,
erklärt Berrocal: „Während die erste Ausstellung Sevilla belebte und zu Aufschwung verhalf“, erläutert er, „erinnert das ehemalige Expo-Gelände von 1992 teilweise an einen verwaisten Ort, an dem
der Zahn der Zeit nagt.“
In Málaga, der zweitgrößten Provinzstadt Andalusiens und Hauptstadt der Costa del Sol, der Sonnenküste am westlichen Mittelmeer, wurde einst der berühmte Maler Pablo Picasso geboren. Auch er
begegnet der fränkischen Reisegruppe in diesen Tagen ebenfalls immer mal wieder in den engen Gassen und prachtvollen Straßen der Stadt, deren Kathedrale Santa María de la Encarnación zu den
wichtigsten Renaissancebauten in Andalusien zählt und nie richtig vollendet wurde.
Am Strand vom Badeort Benalmádena, in dem die Gruppe aus Deutschland untergebracht ist, begegne ich Monika Rößner beim Muscheln suchen. Ihr Sammelglas auf der heimischen Fensterbank ist schon
voller Erinnerungsstücke dieser Art. „Von jedem Strand nehme ich mir nach Möglichkeit ein paar Muscheln oder Steine mit“, erzählt die 71-Jährige aus dem oberfränkischen Seßlach nahe Coburg. Das
habe sie sich schon als junge Frau angewöhnt, so die pensionierte Lehrerin, die jahrelang ihren Vater gepflegt hat und nun erstmals mit dem Heinrichsblatt auf Leserreise ist.
Begegnungen wie diese sind es, die – neben gemeinsamen Erlebnissen und Ausflügen, etwa auch nach Córdoba mit seiner weltbekannten Säulenmoschee oder Marbella, berühmt unter anderem für seinen
Jachthafen Puerto Banús – die Reise auf ganz eigene Art und Weise nähren: wertvolle Momente, die aus dem Leben Einzelner erzählen, die Gemeinsamkeiten und Überschneidungen offenbaren und die mehr
als 40 Menschen im Laufe der Woche zu einer festen Gruppe zusammenwachsen lassen.
„Als Christen brauchen wir bei all unserem Engagement auch Orte zum Beten sowie freie Zeit“, betont Pfarrer und Reisebegleiter Martin Battert in einem seiner morgendlichen Impulse in Anlehnung an
den Prediger und Barockautor Abraham a Santa Clara. Um im Leben voran zu kommen, betont dieser, seien beide Ruder beziehungsweise Aspekte wichtig: Arbeit und Strebsamkeit einerseits sowie
Freizeit, Meditation und Gelassenheit andererseits. „Wie Gottes- und Nächstenliebe zusammen gehören“, so Battert, „sollten auch wir hin und wieder eine schöpferische Pause vom Alltag einlegen.“
Text: Ulrike Schwerdtfeger